Entwicklung und Gerechtigkeit durch Transformation: Die vier großen I
Die Staaten der G20 sind für 82% der CO₂-Emissionen aus fossilen Energieträgern verantwortlich. Daher ist es unverzichtbar, dass die G20 als Gestalter der Weltwirtschaft und -politik bei der Umsetzung der Agenda 2030 und des Übereinkommens von Paris eine Führungsrolle übernimmt.
Zusammenfassung
Im Jahr 2015 gelang ein historischer Doppelerfolg für die Nachhaltigkeits- und Klimapolitik. Die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung mit ihren Sustainable Development Goals (SDGs) und das Übereinkommen von Paris zum Klimaschutz definieren ein ehrgeiziges globales Zielsystem. Die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) sollte jetzt die Umsetzung beider Abkommen entschlossen vorantreiben und die Große Transformation zur Nachhaltigkeit als einzigartiges Projekt wahrnehmen, das erhebliche ökonomische Entwicklungschancen bietet. So ist etwa die vollständige Dekarbonisierung der Weltwirtschaft bis spätestens 2070 nur mit einem tiefgreifenden Wandel der Energiesysteme und anderer emissionsintensiver Infrastrukturen umsetzbar. Die Transformation inspiriert Innovationen und lenkt Investitionen in Richtung Nachhaltigkeit und Klimaschutz, u. a. in die auf- und auszubauenden nachhaltigen Infrastrukturen. Gleichzeitig kann die Transformation genutzt werden, um Ungleichheit zu bekämpfen, also die Inklusion innerhalb der Gesellschaften wie auch global voranzubringen, und so zum Gerechtigkeitsprojekt werden. Die G20 als prägender Akteur sollte diese „vier großen I“ der Nachhaltigkeits- und Klimapolitik gezielt fördern, so dass Ressourcen- und Verteilungskonflikte entschärft und damit internationale Krisen verhindert werden. Die nachhaltige Entwicklung, insbesondere der globale Klimaschutz, ist gegenwärtig das einzige ehrgeizige Vorhaben bei dem alle Nationen der Welt beteiligt sind und einen Konsens erreichen konnten. Durch Erfolge in diesem Mega-Politikfeld können Staaten gegenseitiges Vertrauen aufbauen. Die Große Transformation zur Nachhaltigkeit wird so auch zum Friedensprojekt.
Dekarbonisierungsstrategie umsetzen: Klimaschutzfahrplan
Die Umsetzung des Übereinkommens von Paris erfordert einen einzigartigen Kraftakt der Weltgemeinschaft, denn bei stabilen Emissionen wäre bereits in 20 Jahren das globale CO₂-Budget aufgebraucht, das eine Klimaerwärmung auf 2°C begrenzt. Für die Einhaltung der 2°C-Leitplanke müssen bis spätestens 2070 Nullemissionen erreicht sein; für eine Begrenzung auf 1,5°C bereits bis 2050. Dies ist nur mit einer grundlegenden Transformation der Energiesysteme und anderer emissionsintensiver Infrastrukturen sowie signifikanten Verhaltensänderungen von Bürgern zu erreichen. Es besteht die Gefahr, dass Länder, um einen schnellen Ausstieg aus den fossilen Energien zu vermeiden, auf einen massiven Zubau der Kernenergie sowie den großskaligen Einsatz unausgereifter Technologien wie Kohlenstoffabscheidung und -speicherung setzen (CCS; auch in Kombination mit Bioenergie: BECCS), möglicherweise noch ergänzt mit als hochriskant einzustufenden Geoengineering-Maßnahmen (z. B. der Manipulation des globalen Strahlungshaushalts). Der WBGU stellt eine weitaus risikoärmere Alternative vor, mit der sich eine Begrenzung auf weniger als 2°C erreichen lässt. Er empfiehlt eine rapide Dekarbonisierung der Energieinfrastruktur, einen stark beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien sowie eine effektive Begrenzung des Energieverbrauchs. Für die Umsetzung einer solchen Transformation stellt der WBGU einen dekadischen Klimaschutzfahrplan vor, mit der die in den kommenden Jahrzehnten notwendigen tiefgreifenden Veränderungen skizziert werden. Dies reicht z. B. von einer effektiven CO₂-Bepreisung und dem Ende der Subventionen fossiler Energieträger (bis 2020), über den Stopp der Zulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren
(bis 2030) und den großskaligen Einsatz erneuerbarer Energietechnologien sowie Energiespeicherung und -transport (bis 2040) bis hin zur vollständigen Dekarbonisierung der G20-Ökonomien (bis 2050).
G20 in der Führungsrolle
Die Staaten der G20 sind für 82% der CO₂-Emissionen aus fossilen Energieträgern verantwortlich. Daher ist es unverzichtbar, dass die G20 als Gestalter der Weltwirtschaft und -politik bei der Umsetzung der Agenda 2030 und des Übereinkommens von Paris eine Führungsrolle übernimmt. Zum Beispiel sollten die G20-Staaten ihre Reduktionsankündigungen im Rahmen der UNFCCC nachbessern, um sie mit den in Paris vereinbarten Zielen in Einklang zu bringen. Insbesondere empfiehlt der WBGU, dass sich die G20 den genannten dekadischen Klimaschutzfahrplan zu eigen macht. Die G20-Staaten sollten auf dieser Basis umfassende und überprüfbare nationale Dekarbonisierungsstrategien entwickeln. Darin sollte u. a. festgeschrieben werden, den Ausstieg aus der Nutzung fossiler Energieträger bis 2050 zu erreichen sowie die natürlichen Ökosysteme, ihre Kohlenstoffvorräte und Senkenfunktionen zu erhalten. Um diesen anspruchsvollen Weg gehen zu können, müssen die „vier großen I“ zum Programm der G20 werden: eine Neuausrichtung von Innovationen, damit Wirtschafts- und Wohlstandsentwicklung innerhalb der Leitplanken des Erdsystems möglich werden; ein rascher klimaverträglicher und ressourcenschonender Umbau der zentralen Infrastrukturen der Weltwirtschaft; die Schaffung von Rahmenbedingungen, um einen Investitionsschub für die Nachhaltigkeitstransformation zu erreichen; sowie deren Verknüpfung mit dem handlungsleitenden Prinzip der sozialen Inklusion, also von Gerechtigkeit und Teilhabe, weil diese zugleich Bedingung und Ziel einer Gesellschaftstransformation zur Nachhaltigkeit darstellt.
Zukunftsfonds einrichten
Zur Umsetzung der Agenda 2030 und des Übereinkommens von Paris sollten die beteiligten Staaten effektive nationalstaatliche Politikinstrumente entwickeln. Der WBGU empfiehlt den G20-Staaten insbesondere die Einrichtung transformativer Staatsfonds (Zukunftsfonds). Damit können die G20-Staaten auf den Finanzmärkten stärker als Akteure aktiv werden, mit dem Ziel, einen sozialverträglichen Strukturwandel hin zu einem nachhaltigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystem zu fördern. Die Zukunftsfonds sollten sich aus den Einnahmen von CO₂-Steuern und Emissionshandel speisen sowie aus einer Generationenkomponente auf Nachlassvermögen. Die Mittel der transformativen Staatsfonds sollten im Sinne des Klimaschutzes und der SDGs angelegt und die Erträge für gemeinwohl- und gerechtigkeitsorientierte Zwecke verwendet werden.
Nachhaltigkeits- und Klimapolitik zur Lösung weltpolitischer Probleme nutzen
Die Regierungen der G20 sollten sich nicht nur „zu Hause“ engagieren, sondern auch auf internationaler Ebene als Vorreiter dazu beitragen, Kooperation zu stärken und globale Probleme zu lösen. Bei richtiger Ausgestaltung und dem strategischen Einsatz der vier großen I kann Nachhaltigkeits- und Klimapolitik als Hebel zur Lösung weltpolitischer Probleme genutzt werden. Erstens kann eine weitsichtige Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik zu einem Modernisierungsprojekt der Weltwirtschaft werden. Sie kann ökonomische Entwicklungschancen eröffnen, indem sie Innovationen inspiriert, Investitionsmöglichkeiten und nachhaltige Beschäftigung schafft sowie Investitionen in zukunftsfeste Technologien, Unternehmen und Infrastrukturen lenkt. Zweitens kann Klimaschutz- und Nachhaltigkeitspolitik auf nationaler Ebene zum Gerechtigkeitsprojekt werden und Inklusion voranbringen, indem sie Dekarbonisierungsstrategien sozialverträglich gestaltet, Ungleichheiten bekämpft und soziale Kohäsion stärkt. Drittens kann die Bewältigung gemeinsamer nachhaltigkeits- und klimapolitischer Herausforderungen zum Friedensprojekt werden, denn dadurch können auch Staaten Vertrauen aufbauen, die sonst nicht miteinander kooperieren oder in offenem Konflikt stehen. Dies fördert Inklusion auf globaler Ebene, indem Ressourcen- und Verteilungskonflikte entschärft werden und Bürgerkriegen sowie Massenflucht entgegengewirkt wird.
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Externe Expertisen
Externe Expertisen werden vom WBGU in Aufrag gegeben, die Verantwortung für die Inhalte liegt bei den AutorInnen.
- Download: Dr. Galina Churkina: „Can use of wood in future infrastructure development reduce emissions of CO2?“ (PDF 1,4 MB)
- Download: Prof. Dr. Michael Sterner und M. Eng. Franz Bauer: „Weltweit Null- Emissionen bis 2050. Szenarien zur globalen Dekarbonisierung auf Basis erneuerbarer Energien, Sektorenkopplung und Energiespeicher ohne negative Emissionen, Biomasse und CCS" (PDF 8,4 MB)