Empfehlungen für einen europäischen Weg in unsere gemeinsame digitale Zukunft
Nach Überzeugung des Beirats sollte Deutschland während seiner EU-Ratspräsidentschaft 2020 an den Green Deal der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen anknüpfen und auf eine enge Verzahnung von digitalem Wandel und Nachhaltigkeit hinwirken.
Chancen und Risiken der Digitalisierung in EU-Nachhaltigkeitspolitik integrieren
In der EU eröffnen sich derzeit zwei Gelegenheitsfenster: Die Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals, SDGs) müssen umgesetzt und das 8. Umweltaktionsprogramm diskutiert und verabschiedet werden. „Die EU benötigt eine Umsetzungsstrategie für die SDGs, die auch digitale Technologien in den Dienst der Nachhaltigkeit stellt und die Risiken der Digitalisierung für eine Nachhaltigkeitstransformation minimiert“, konstatiert die Co-Vorsitzende des WBGU, Sabine Schlacke. Analog sollte das Thema Digitalisierung im 8. Umweltaktionsprogramm ab 2021 verankert werden.
Digitalpolitik an Nachhaltigkeitszielen ausrichten
„Noch dominieren kurzfristorientierte wirtschaftliche Aspekte bei der EU-weiten Förderung und Nutzung digitaler Technologien, auch im Wettbewerb mit China und den USA“, so beschreibt Dirk Messner, Co-Vorsitzender des WBGU, die derzeitige Situation. Der WBGU empfiehlt, ökologische und soziale Ziele, die durch Digitalisierung erreicht werden können, gleichrangig mit wirtschaftlichen zu verfolgen, etwa durch die europäische Digitale Agenda, die Strategie für Künstliche Intelligenz (KI) der EUKommission oder im Rahmen des Programms Digitales Europa. Bereits frühzeitig sollten dabei negative (Neben-)Effekte identifiziert und minimiert werden.
Privatwirtschaft bei Datenbereitstellung stärker in den Dienst nehmen
Die EU-Datenpolitik konzentriert sich bisher auf den Schutz personenbezogener Daten und die Verwendung von Daten öffentlicher Stellen. Dies greift aus Sicht des WBGU zu kurz: Auch die Zugänglichkeit und Weiterverwendung (nicht personenbezogener) Daten der Privatwirtschaft sollten verbessert werden, um gemeinwohlorientierte Daten und digitalisierte (Wissens-)Güter zu schaffen. Dies ist grundlegend für wohlfahrtssteigernden Wissenszuwachs sowie Nachhaltigkeitspolitik und fördert marktwirtschaftlichen, machtbegrenzenden Wettbewerb. Schon heute überlässt die EU-Datenpolitik den Mitgliedstaaten Möglichkeiten, auch Zugänge zu Daten privater Unternehmen zu regulieren. Deutschland sollte hierbei eine Vorreiterrolle einnehmen.
Zugang zu digitalen Gemeingütern und Basisdiensten durch öffentlich-rechtliche IKT- Infrastrukturen gewährleisten
Individuelle Teilhabe, Persönlichkeitsentfaltung, Umweltschutz, fairer Wettbewerb und eine funktionierende digitale Öffentlichkeit setzen Zugang zu Daten und Diensten voraus. Deren fast ausschließlich privatwirtschaftliche Bereitstellung erfolgt nicht immer im Gemeinwohlinteresse. Das Verständnis von Daseinsvorsorge im Digitalen Zeitalter sollte daher erweitert werden: Aufgabe der EU ist nach Überzeugung des WBGU, öffentlich-rechtliche digitale und digitalisierte Infrastrukturen zu schaffen bzw. zu gewährleisten, um alternative, öffentlich-rechtliche (Basis-)Dienste anzubieten.
Künstliche Intelligenz nachhaltigkeitsorientiert entwickeln und anwenden
Die EU sollte bei Anwendung und Entwicklung von KI-Systemen konsequent ihrem wertebasierten Ansatz folgen: Grundrechte, die Würde des Menschen, Umwelt- und Nachhaltigkeitsprinzipien sind das normative Fundament der EU und stehen nicht zur Disposition. Eine (Rahmen-)Gesetzgebung für Entwicklung und Umgang mit KI ist dringend nötig, da ethische Leitlinien und Debatten allein nicht genügen, um eine entsprechende Gestaltung und Anwendung zu gewährleisten. Zudem sollte die Forschung zu erklärbarer und abgesicherter, d. h. verlässlich verifizierter und validierter KI gefördert und genutzt werden, um vertrauenswürdige, faire und zurechnungsfähige Verfahren sicherzustellen.
EU-Forschungspolitik und Förderung von Innovationen konsequent an Nachhaltigkeitszielen orientieren
Responsible Research and Innovation (RRI) sollte als übergreifendes Konzept europäischer Forschungsund Innovationpolitik angewendet werden, um mit ihm die Ausrichtung an Nachhaltigkeitszielen explizit zu verankern und ungewollte Auswirkungen zu vermeiden. Das hohe Umwelt-, Verbraucher- und Arbeitsschutzniveau der EU darf durch das derzeit diskutierte Innovationsprinzip nicht geschwächt werden. Die Missionen von Horizont Europa sollten darauf abzielen, digitalen Wandel und Nachhaltigkeitstransformation integriert zu gestalten und dabei Transformations- und transformative Forschung stärken.
Europäisches Digitalisierungsmodell als außenpolitischer Akzent
Auch international sollte die EU die Verzahnung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung vorantreiben. Sie sollte einen Gipfel zu „Nachhaltigkeit im Digitalen Zeitalter“, z. B. symbolisch 30 Jahre nach dem Erdgipfel in Rio für das Jahr 2022, initiieren, der Weichen zur notwendigen Fortschreibung der Nachhaltigkeitsagenda bis 2030 und darüber hinaus stellt. Ein Ergebnis dieses Gipfels könnte die Verabschiedung einer Charta für ein nachhaltiges digitales Zeitalter sein. Der vom WBGU vorgelegte Entwurf kann unter www.wbgu.de/charter online kommentiert werden.