Umsetzung der New Urban Agenda jetzt kraftvoll angehen
Die 2016 auf der Habitat-III-Konferenz (dritte Konferenz der Vereinten Nationen zu Wohnungsfragen und nachhaltiger Stadtentwicklung) verabschiedete New Urban Agenda (NUA) soll in den nächsten 20 Jahren als Rahmen für globale Stadtentwicklung dienen. Die Konferenz bot die erste Chance, diese Nachhaltigkeitsund verbindlichen Klimaschutzziele auf die Ebene der Städte zu übertragen.
Übersicht
Die NUA befasst sich mit der Entwicklung und der nachhaltigen Gestaltung von Städten. In dem Dokument finden sich nahezu alle in den letzten Jahren debattierten Themen nachhaltiger Stadtentwicklung. Dazu zählen die Schaffung inklusiver und menschengerechter Siedlungen, Ressourcen- und Klimaschutz, Stärkung der Resilienz von Städten, die Verbesserung der Lebensbedingungen für alle Stadtbewohner, einschließlich derer in informellen Siedlungen sowie das in den Verhandlungen umstrittene „Recht auf Stadt“, das den Diskurs um das Anrecht auf einen kollektiv gestalteten und genutzten städtischen Raum bezeichnet. Diese wichtigen Themen und positiven Leitbilder wurden erstmals in einem von der internationalen Staatengemeinschaft verabschiedeten Dokument gebündelt. Zudem wurden Kommunen und Städte als zentrale Akteure nachhaltiger Entwicklung anerkannt, was auch eines der Kernanliegen der Bundesregierung im Prozess darstellte.
Der NUA fehlt jedoch ein Fahrplan für die Umsetzung und ein damit verbundener robuster Überprüfungsmechanismus. Vor allem ist es nicht gelungen, Urbanisierung mittel- und langfristig zu einem zentralen Thema der Weltpolitik zu machen, wie es die Dynamik und Bedeutung dieses weltweiten Veränderungsprozesses verlangt. Dies ist vor dem Hintergrund des geringen politischen Interesses am Habitat-Prozess und der Tatsache, dass viele Schlüsselakteure kaum politisches Kapital investierten, nicht verwunderlich. Zudem fehlen im UN-System, in der globalen Entwicklungsarchitektur insgesamt und bei UN-Habitat als zentralem Akteur für die Koordinierung des Umsetzungs- und Reviewprozesses das Mandat, die notwendigen Governance-Strukturen sowie die finanziellen Ressourcen, um auf die Herausforderungen der Urbanisierung angemessen reagieren zu können. Hier nachzubessern ist jetzt eine dringliche politische Aufgabe.
In der NUA wurden die Verantwortung für den Überprüfungs- und Reformprozess von UN-Habitat, die Ausgestaltung des Folgeprozesses sowie die Umsetzung der Beschlüsse an den UN-Generalsekretär und die UN Generalversammlung (2017 und 2018) delegiert. Sie sind zusammen mit den Sitzungen des UN-Habitat Governing Council (Mai 2017) und einem zweitägigen hochrangigen Treffen im September 2017 das Forum, in denen die relevanten Entscheidungen für die Umsetzung der NUA konkretisiert werden können.
Ob Nachhaltigkeit gelingt, wird in den Städten entschieden
Ob die Transformation zur Nachhaltigkeit weltweit gelingt, wird in den Städten entschieden. Daher sollte die Transformation der Städte zur Nachhaltigkeit, ebenso wie der Klimaschutz, ganz oben auf die Agenden der Vereinten Nationen, der G7, der G20, der Entwicklungsbanken und der bilateralen Zusammenarbeit gesetzt werden. Geschieht dies nicht, werden die Pfade zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele im wahrsten Sinne des Wortes verbaut.
- Das verbleibende Zeitfenster zur nachhaltigen Gestaltung der mit großer Wucht stattfindenden weltweiten Urbanisierung ist sehr eng. Die Maßnahmen und Investitionen, die in den kommenden drei Jahrzehnten getätigt werden, schaffen große Pfadabhängigkeiten für die Zukunft. Mit ihnen können Weichen richtig gestellt oder kaum korrigierbare Fehlentwicklungen für die ganze Welt zementiert werden. Der weltweite Städtebau muss sich am Pariser Klimaschutzübereinkommen sowie an der Agenda 2030 mit seinen 17 SDGs orientieren, denn ansonsten sind diese Zielsetzungen nicht umsetzbar. Der WBGU möchte vor diesem Hintergrund folgende, vielfach bereits in der NUA verankerte, Aspekte als besonders relevant hervorheben: Stadtentwicklung kann nur gelingen, wenn die planetarischen Leitplanken beachtet werden. Bis Mitte des Jahrhunderts, aber spätestens bis 2070, sollten alle fossilen CO2-Emissionsquellen in Städten durch emissionsfreie Alternativen ersetzt und eine vollständige Dekarbonisierung der Verkehrssysteme erreicht werden. Für eine nachhaltige Stadtentwicklung müssen umwelt- und klimaverträgliche Baustoffe eingesetzt werden, denn Stahl, Zement und Beton gehören zu den Treibern der globalen Erwärmung. Zudem sollte in diesem Jahrhundert eine möglichst vollständige Kreislaufwirtschaft etabliert werden.
- Der urbane Raum sollte von den dort lebenden Menschen gestaltbar sein. Am Menschen orientierte Städte können nur entstehen, wenn die soziale, ökonomische und politische Teilhabe der Stadtbevölkerung gewährleistet wird. Voraussetzung dafür ist eine dem Konzept der kollaborativen Governance verpflichtete Stadtentwicklungspolitik und der Zugang zu Basisdienstleistungen, z.B. durch die Schaffung inklusiver Mobilitätssysteme und bezahlbarem Wohnraum. Umsetzungspartnerschaften können hier einen wichtigen Beitrag leisten.
- Urbane Lebensqualität hängt von der „Eigenart“, also dem spezifischen Charakter der Städte, ab: Historisch gewachsene Urbanität und Gestaltungsräume schaffen Identität, öffentliche Plätze und Räume ermöglichen Austausch und Gemeinschaft, Architektur kann Schönheit, Offenheit, Menschenfreundlichkeit und Kreativität anstelle von Exklusion ausdrücken und fördern. Eigenart kann nur entstehen, wenn die Bevölkerung sich an der Gestaltung ihrer Städte beteiligen kann.
- Polyzentrische Strukturen verbessern die Lebensqualität in Städten, sie schaffen soziale Durchlässigkeit, kulturelle Diversität und verhindern die Verdrängung von Bevölkerungsgruppen in urbane und regionale Peripherien. Zudem kann eine Belebung kleinerer und mittlerer Städte Disparitäten zwischen Land und Stadt verringern. Digitalisierung, erneuerbare Energien und Kreislaufwirtschaft schaffen Voraussetzungen für polyzentrische Städtelandschaften; Innovationen in Infrastruktur und Technologie können polyzentrische, urbane Leitbilder unterstützen.
- Für diese Aufgaben ist eine polyzentrische Verantwortungsarchitektur notwendig: Städte sollten in staatliche Strukturen dergestalt eingebunden werden, dass sie dem Subsidiaritätsprinzip folgend ihre lokalen Angelegenheiten selbst regeln dürfen und hierfür mit den erforderlichen finanziellen Mitteln ausgestattet werden (Dezentralisierung) bzw. Zugang zu Finanzierungsquellen enthalten, um dem enormen Investitionsbedarf zu begegnen. Weiter muss der Austausch in und über die verschiedenen Governance- Ebenen (lokal-regional-national-international) hinweg durch vertikale und horizontale Abstimmungs- und Kooperationsmechanismen verbessert werden.
Der New Urban Agenda fehlen klare Ziele und ein Fahrplan zur Umsetzung
Es gelang im Habitat-III-Prozess nicht, das politische Momentum zu erzeugen, das der Wucht, Geschwindigkeit, Vielschichtigkeit und globalen Bedeutung der Urbanisierung und damit der herausragenden Rolle von Städten für die globale Nachhaltigkeit gerecht wird. Es mangelt an der notwendigen Stringenz und Radikalität für einen ernsthaften, politisch gewollten Paradigmenwechsel in Richtung Nachhaltigkeit. Insbesondere fehlen in der NUA konkrete Vereinbarungen und klare Zeithorizonte für eine erfolgreiche, schrittweise Umsetzung der Ziele. Das Pariser Klimaschutzübereinkommen von 2015 wird zwar aufgegriffen und das dort verabschiedete Ziel, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2°C zu begrenzen, bekräftigt; aber dass sich dies massiv auf Städte und ihre zukünftige Entwicklung auswirkt, wird weder angesprochen noch werden Ansätze zur Umsetzung des Klimaziels entwickelt. In ihrer Vagheit fällt die NUA so bei Umwelt- und Klimaschutz hinter viele internationale Abkommen zurück. Der 20-jährige Verhandlungszyklus der Habitat-Konferenzen wurde in Quito bestätigt – ein Rhythmus der viel zu lang ist, um den dringenden Handlungsbedarf der nächsten Jahre glaubhaft aufzugreifen und geeignete, aufeinander abgestimmte Handlungsleitlinien und Implementierungsschritte zu entwickeln.
New Urban Agenda besser mit Klimaschutz und Nachhaltigkeit verknüpfen
In Quito wurde vereinbart, dass binnen zwei Jahren, also bis zum Herbst 2018, die Ausgestaltung des NUA-Überprüfungsprozesses festgelegt und Beschlüsse zur Reform des UN-Habitat-Programms gefasst werden sollen. Die Verknüpfung der Umsetzung der NUA mit dem Agenda-2030-Prozess (u.a. das SDG Nr. 11: „Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig machen“), mit dem Pariser Klimaschutzübereinkommen und dem Sendai Framework for Disaster Risk Reduction wurde allerdings bisher nur fragmentarisch angelegt. Immerhin ist der vierjährige Rhythmus der NUA-Berichterstattung auf das High-level Political Forum on Sustainable Development (HLPF) abgestellt. Der Bericht soll über den Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen (ECOSOC) in den HLPF-Prozess eingespeist werden. UNHabitat ist außerdem federführend für die Berichterstattung zum SDG Nr. 11. Es sollte ein Kernanliegen in den Verhandlungen sein, den Reviewprozess der NUA noch enger an diejenigen der Agenda 2030 und des Pariser Klimaschutzübereinkommens anzukoppeln.
Das HLPF wird in den kommenden 15 Jahren politisch im Rampenlicht stehen. Dies sollte auch für die NUA fruchtbar gemacht werden, zumal urbane Akteure an der Umsetzung nahezu aller SDGs beteiligt sind. Viele Indikatoren existieren bereits und müssen für die NUA nicht neu entwickelt, aber auf die Städteebene heruntergebrochen bzw. angepasst werden. Dabei sollte es vor allem um eine Überprüfung der Entwicklungstrends in den zentralen transformativen Handlungsfeldern gehen, also jenen Bereichen urbaner Entwicklung, die zentral für eine Transformation zur Nachhaltigkeit sind.
Das Pariser Klimaschutzübereinkommen und die Agenda 2030 sind mit umfänglichen Berichtspflichten verbunden. Auch für die NUA sollten robust verankerte Pflichten vereinbart werden. Dabei sollte man sich möglichst an Indikatoren aus den anderen Prozessen orientieren, um die Staaten und Städte nicht mit Berichtspflichten zu überfordern.
Urbanisierung zu zentralem Thema der Weltpolitik machen
Trotz der herausragenden Bedeutung des Urbanisierungsprozesses für das Gelingen der Großen Transformation zur Nachhaltigkeit hat nachhaltige Stadtentwicklung weltpolitisch bisher keinen angemessen hohen Stellenwert. Der WBGU empfiehlt:
- den Habitat-Konferenzzyklus deutlich zu verkürzen, vorzugsweise auf vier Jahre – wohl wissend, dass dies realpolitisch derzeit wenig wahrscheinlich ist. Der derzeitige Konferenzzyklus von 20 Jahren widerspricht dem Handlungsdruck, der sich aus der Wucht der globalen Urbanisierungsdynamik ergibt;
- UN-Habitat zu stärken und dabei auch die Vernetzung und Kooperation innerhalb des UN-Systems weiter auszubauen und zu verbessern. Ziel der Reform sollte es sein, in einem ersten Schritt UN-Habitat zu einer durchsetzungsfähigen Institution zu machen, deren Gestaltungsmöglichkeiten mindestens auf Augenhöhe mit dem UN-Umweltprogramm (UNEP) sind. Dazu sollte eine effektivere und transparentere Managementstruktur geschaffen werden, u.a. durch die Einrichtung eines Verwaltungsrates, der schnelle Entscheidungen ermöglicht. Zudem sollte UN-Habitat eine wissenschaftliche Abteilung einrichten und einen wissenschaftlichen Chefberater benennen. Mittelfristig sollte UN- Habitat zu einer UN-Sonderorganisation aufgewertet werden. Neben größerem Gewicht und größerer Unabhängigkeit eröffnet dies – analog zu den Strukturen der Internationalen Arbeitsorganisation an der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter beteiligt sind – die Möglichkeit, Städten bzw. Städtenetzwerken ein stärkeres Mitspracherecht einzuräumen. Die anzustrebende engere Kooperation zwischen UN-Habitat und weiteren UN-Organisationen erleichtert zusätzlich das Einbringen der städtischen Perspektive in die Umsetzungsprozesse der zentralen Agenden zu den globalen Nachhaltigkeitszielen und dem Klimaschutz;
- wissenschaftliche Expertise zum Thema Urbanisierung in einer strukturierten Form in die Vereinten Nationen einzubringen. Hierzu sind besonders regelmäßige Sachstandsberichte geeignet. Diese sollten entweder vom World Urban Forum oder von einem neu zu schaffenden Urbanisierungs-Expertengremium erstellt werden;
- Städte als (eigenständige) Akteure zu stärken, indem es Stadtregierungen ermöglicht wird, eine aktive Rolle bei der Formulierung und Umsetzung nationaler Entwicklungsstrategien einzunehmen sowie sie als Akteure im UN-System aufzuwerten, indem ihnen beispielsweise Teilnahme- und Rederecht an allen UNVerhandlungen mit städtischer Relevanz gewährt wird;
- Urbanisierung als Themenfeld sektorübergreifend und in angemessenen Größenordnungen in den bi- und multilateralen Entwicklungsorganisationen zu verankern, etwa durch die Konzeption und Implementierung neuer Ansätze zur integrierten Stadtentwicklung, die Ausweitung bestehender (sektoraler) Schwerpunkte und Aktivitäten auf städtische Räume, der gezielten Finanzierung von städtischer Entwicklung oder der Festlegung allgemeiner Zielgrößen für Beiträge zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Bisher ist Urbanisierung nicht nur ein Randthema der Weltpolitik, sondern auch ein vernachlässigter Bereich der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.
Die deutsche Bundesregierung sollte sich in den anstehenden Verhandlungen für eine mit klaren Zielen und Zeithorizonten ausgestattete Umsetzung der New Urban Agenda und ein reformiertes, den Herausforderungen gewachsenes UN-Habitat stark machen.