Presseerklärung31.10.1995, Bonn

Übergabe des Jahresgutachtens 1995: "Globale Umweltpolitik: Therapien für den Krisenplaneten Erde"

Der "Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" (WBGU) übergibt heute sein Jahresgutachten an Bundesumweltministerin Dr. Angela Merkel (CDU) und Bundesforschungsminister Dr. Jürgen Rüttgers (CDU).

Globale Umweltprobleme verschärfen sich weiter / Sofortiges Handeln beim Klimaschutz notwendig / Biologische Vielfalt bedroht / Internationale Vereinbarungen wirksam durchsetzen / Aktivere Rolle der Bundesrepublik in globaler Umweltpolitik gefordert / Umweltbildung intensivieren / Armutsbekämpfung verstärken

Das Expertengremium kommt in seinem Bericht "Welt im Wandel: Wege zur Lösung globaler Umweltprobleme" zu dem Schluß, daß die weltweite Umweltzerstörung noch aufzuhalten ist, wenn unverzüglich gehandelt wird. Zu den zentralen und vom Menschen gemachten Umweltproblemen zählen nach Ansicht des WBGU die Veränderung des Klimas, der dramatische Verlust fruchtbarer Böden, die Abnahme der biologischen Vielfalt und die weltweite Verknappung des Süßwassers. Verschärft werden diese Probleme durch das nahezu ungebremste Bevölkerungswachstum.

Eine Schlüsselrolle in der Klimaerwärmung nehmen die Industrieländer ein, auf deren Konto rund 80 Prozent des Weltenergieverbrauches gehen. So entfällt auf einen Deutschen ein etwa zwanzig mal höherer Kohlendioxidausstoß als auf einen Inder. Deshalb ist eine Verminderung der Treibhausgas-Emmissionen aller Industrieländer dringend erforderlich. Als Voraussetzung für eine nachhaltige Klimaschutzstrategie entwickelte der Beirat ein neuartiges Analyseverfahren: Den Ausgangspunkt bildet das sog. "tolerierbare Klimafenster", also derjenige Bereich möglicher Klimaentwicklungen, den die Menschheit aus ökologischen, ökonomischen und sozialen Gründen gerade noch verkraften kann. Mit Hilfe mathematischer Modelle leitet der WBGU dann gewissenmaßen "rückwärts" globale Obergrenzen für die Emissionen treibhauswirkender Gase ab. Diese Obergrenzen lassen sich wiederum in langfristige Reduktionsverpflichtungen für Deutschland und andere Länder umrechnen.

Hauptergebnisse der Analyse: Wenn die Menschheit wie bisher weiterwirtschaftet, dann wird das Klimasystem das zulässige "Fenster" bereits in ca. 25 Jahren verlassen. Dagegen läßt sich das Klima dauerhaft in einem neuen Gleichgewicht stabilisieren, wenn die globalen CO2-Emissionen konsequent um ca. 1% pro Jahr reduziert werden.

Besorgniserregend ist nach Ansicht des Beirats die Geschwindigkeit, mit der die biologische Vielfalt abnimmt. Zu den Hauptursachen zählen die Zerstörung natürlicher Lebensräume durch Verstädterung, Straßenbau, Rodung des Tropenwaldes, landwirtschaftliche Nutzung und Massentourismus. Auch die Vielfalt der Gene ist bedroht. Besonders problematisch ist nach Ansicht des Beirats die abnehmende Zahl traditionell angebauter Kulturpflanzensorten, mit der eine steigende Anfälligkeit gegenüber Schädlingsbefall und Krankheiten verbunden ist. Diese "Gen-Erosion" bei Kulturpflanzen bedeutet mittelfristig auch eine Gefahr für die globale Ernährungssicherung. Der Beirat plädiert deshalb dafür, daß die Biodiversitätskonvention schnell umgesetzt wird. Internationale Vereinbarungen gewinnen bei der Lösung globaler Umweltprobleme zunehmend an Bedeutung. Aus der Tatsache, daß die Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung zu einem "global player" mit großem politischen und wirtschaftlichen Einfluß geworden ist, erwächst auch die Verpflichtung, Lösungen für globale Umweltprobleme zu erarbeiten und politisch umzusetzen. Insgesamt weisen die in den letzten Jahren entwickelten internationalen Vereinbarungen in die richtige Richtung. Allerdings müssen die Konventionen zu Klima, biologischer Vielfalt und Bekämpfung der Wüstenbildung jetzt wirksam umgesetzt werden.

Dazu bedarf es neuer Instrumente in der internationalen Umweltpolitik. Ein Beispiel ist das Konzept der "gemeinsamen Umsetzung" (joint implementation) der Reduktionsverpflichtungen im Klimaschutz, wie es auf dem Berliner Klimagipfel auch vom Beirat angeregt wurde. Gemeint ist damit die Möglichkeit, daß Industrieländer einen Teil ihrer nationalen Verpflichtungen zur Verringerung des CO2-Ausstoßes erfüllen können, indem sie Maßnahmen zur CO2-Vermeidung in Entwicklungsländern finanzieren. Ebenfalls wichtig ist, daß die neugegründete Welthandelsorganisation (WTO), die eine Liberalisierung des Welthandels erreichen will, ihre Selbstverpflichtung zum Umweltschutz jetzt mit Inhalt füllt.

Nach Ansicht des WBGU kann Umweltpolitik nur dann erfolgreich sein, wenn das Umweltbewußtsein zunimmt und langfristig Konsumgewohnheiten verändert werden. Dazu müssen vermehrt Programme zur Umweltbildung eingeführt werden. Umweltbildung muß an den Alltagserfahrungen der Menschen mit Umweltproblemen ansetzen. Ziel muß dabei sein, die eigene Kultur und die eigenen Lebensstile in ihrem umweltschädigenden Muster zu erkennen, um Verhaltensänderungen zu bewirken. Dies gilt für Industrie- wie Entwicklungsländer gleichermaßen. Insbesondere Umweltschutzorganisationen leisten in diesem Bereich wichtige Arbeit und verdienen Unterstützung.

Als eine weitere Ursache globaler Umweltprobleme sehen die Experten die Massenarmut in den Entwicklungsländern an. Hier sind verstärkte Anstrengungen in der Armutsbekämpfung, eine intensive Frauenförderung, die Verminderung der Kindersterblichkeit, die Verbesserung der Schulbildung und die Sicherung der Alterversorgung notwendig. Eng verknüpft mit der Armutsproblematik ist das weiterhin nahezu ungebremste Bevölkerungswachstum. Die Abwanderung der ländlichen Bevölkerung in die Städte ist eine direkte Folge dieser Entwicklung. Insbesondere die Zahl der "Megastädte" mit mehr als 10 Millionen Einwohnern nimmt weiter zu. Gelingt es nicht, die Verstädterung zu bekämpfen, besteht nach Ansicht der Wissenschaftler die Gefahr, daß viele Städte kollabieren. Auch haben internationale Wanderungen, insbesondere die Flüchtlingsströme, zu Beginn der 90er Jahre deutlich zugenommen und betreffen langfristig auch die Bundesrepublik. Etwa 100 Millionen Menschen leben derzeit außerhalb ihres Heimatlandes. Armutsbekämpfung ist nach Ansicht des Beirates in vielen Ländern der beste Weg zum Umweltschutz.