Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration
Fünf Mehrgewinnstrategien zur Überwindung von Landnutzungskonkurrenzen
Die Überwindung von Landnutzungskonkurrenzen erfordert die Ausrichtung der Politik auf Synergien. Dafür hat der WBGU beispielhaft fünf Mehrgewinnstrategien entwickelt.
Der WBGU empfiehlt erstens einen massiven Ausbau der Renaturierung von Landökosystemen. Das im Rahmen der Bonn Challenge gesteckte Ziel der Renaturierung von 350 Mio. Hektar degradierter Landfläche bis 2030 sollte nicht nur erreicht, sondern deutlich erweitert werden. Die Bonn Challenge ist eine Initiative Deutschlands und der Weltnaturschutzunion zur Wiederherstellung von Wäldern und waldreichen Landschaften weltweit. Hierbei sollte die Wiederherstellung biodiverser und standortgerechter Wälder, Feuchtgebiete und Graslandschaften im Vordergrund stehen, um gleichzeitig einen Mehrgewinn durch die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre zu erzielen. 350 Mio. Hektar entsprechen 2% der Landfläche der Erde. CO2-Entfernung aus der Atmosphäre ist allerdings kein Ersatz für die notwendige massive Reduktion von CO2-Emissionen und sollte daher in Klimaschutzstrategien nicht in einem pauschalen Klimaneutralitätsziel gegen CO2-Minderung aufgerechnet werden, sondern unabhängig von dieser verfolgt werden.
Effektive, vernetzte Schutzgebietssysteme bilden zweitens das Rückgrat des Ökosystemschutzes. Ausweitung und Aufwertung der Schutzgebiete sind entscheidende Voraussetzungen dafür, die globale Biodiversitätskrise zu entschärfen. Die terrestrischen Schutzgebietssysteme sollten auf 30% der Erdoberfläche ausgeweitet werden, unter konsequenter Anwendung international vereinbarter Qualitätskriterien. Auch dies trägt im Sinne eines Mehrgewinns zum Klimaschutz bei und erhält langfristige Potenziale für die Ernährungssicherung.
Drittens ist die Förderung einer auf Vielfalt beruhenden Landwirtschaft eine weitere Mehrgewinnstrategie, mit der die globale Landwende gelingen kann. Für die EU-Agrarpolitik empfiehlt der WBGU eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft durch ihre umfassende Ökologisierung. Damit werden gleichzeitig Ernährungssicherung, Klimaschutz und Erhaltung der Biodiversität gefördert.
Viertens liegt ein vielversprechendes Potenzial, um den Druck auf die Landökosysteme zu entschärfen, in der Transformation der Ernährungsstile in den Industrieländern, insbesondere durch die Verringerung des Anteils an Tierprodukten. Eine Orientierung an der „Planetary Health Diet“ sollte als Grundsatz in Ernährungsleitlinien verankert und auch seitens der Bundesregierung empfohlen werden.
Fünftens bietet das Bauen mit Holz effektive Möglichkeiten, langfristig Kohlenstoff zu speichern. Das Holz dafür muss aber aus standortgerechter, nachhaltiger Waldwirtschaft stammen, die weder Biodiversität noch Ernährungssicherung gefährdet. Dazu sollte mit internationalen Partnern eine weltweite „Mission nachhaltiges Bauen“ initiiert und mit der EU-Initiative für ein „neues europäisches Bauhaus" verknüpft werden.
Fünf Governance-Strategien für die globale Landwende
Zur Umsetzung der globalen Landwende schlägt der WBGU fünf Governance-Strategien vor:
Erstens wird die Anwendung neuer Formen der multilateralen Zusammenarbeit durch die Errichtung von Kooperationsgemeinschaften durch gleichgesinnte Staaten und/oder subnationale Regionen empfohlen.
Zweitens sollte die internationale Zusammenarbeit beim Umgang mit Land verbessert und ein „Global Land Summit“ als gemeinsame Vertragsstaatenkonferenz der UN-Konventionen zu Klima, Biodiversität und Desertifikation einberufen werden.
Drittens sollte die Europäische Union im Rahmen des European Green Deal neben der Klimaneutralität bis 2050 auch eine Landwende zur Nachhaltigkeit vorantreiben.
Viertens sollten Staaten Rahmenbedingungen schaffen, negative Auswirkungen der Landnutzung auf Ökosysteme konsequent einzupreisen oder etwa durch Standards einzuhegen. Schutz oder Renaturierung von Ökosystemen sollten gesellschaftlich honoriert werden.
Fünftens sollten Pionier*innen des Wandels unterstützt werden, die neue landbasierte Schutz- und Nutzungspraktiken erproben.
Hintergrund: Landökosysteme in der Krise
Die Bilanz der internationalen Nachhaltigkeitspolitik Anfang der 2020er Jahre fällt ernüchternd aus. Die Klimaschutzziele des Pariser Übereinkommens scheinen nur noch erreichbar, wenn Landflächen verstärkt genutzt werden, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen, was außer mit Chancen auch mit erheblichen Risiken verbunden ist. Das globale Ernährungssystem ist in einer Krise: Für ein Viertel der Menschheit ist die Ernährungssicherung gefährdet, ein weiteres Viertel leidet an gesundheitsschädlichem Überkonsum. Zudem bedrohen die externen Effekte der industriellen Landwirtschaft die natürlichen Lebensgrundlagen. Nicht zuletzt erlebt die Biodiversität derzeit weltweit ein dramatisches Massenaussterben.
All dies geschieht in einer Situation, wo sich der Multilateralismus in einer tiefgreifenden Krise befindet und die Covid-19-Pandemie die Lage zusätzlich erschwert. Die Knappheit des Gemeinguts Land und die Gemengelage der nicht länger tragbaren Konflikte um terrestrische Ökosysteme zeigen einen dringenden Handlungsbedarf. Insofern stellen der kommenden Vertragsstaatenkonferenzen der Biodiversitätskonvention und der Klimarahmenkonvention sowie die UN-Dekade zur Wiederherstellung von Ökosystemen wichtige Foren dar, um einem nachhaltigen Umgang mit Land wertvollen politischen Rückenwind zu geben.