Landwende im Anthropozän:
Von der Konkurrenz zur Integration
Nur wenn sich unser Umgang mit Land grundlegend ändert, können die Klimaschutzziele erreicht, der dramatische Verlust der biologischen Vielfalt abgewendet und das globale Ernährungssystem nachhaltig gestaltet werden.
Übersicht
Der WBGU schlägt fünf exemplarische Mehrgewinnstrategien vor, um Konkurrenzen zwischen Landnutzungsansprüchen zu überwinden. Diese sollten durch fünf Governance-Strategien vorangetrieben werden.
Land ist Lebensgrundlage des Menschen. Mit dem Klimawandel, dem Massenaussterben biologischer Vielfalt und einem vielfach dysfunktionalen Ernährungssystem erleben wir drei aufeinandertreffende globale Krisen, die unmittelbar mit unserem Umgang mit Land verknüpft sind. Doch das Land und seine biologisch produktiven Ökosysteme stehen unter Druck wie nie zuvor. Hier setzt das vorliegende Gutachten an: Welche Strategien für den Umgang mit terrestrischen Ökosystemen bieten sich an, um bestehende Nutzungskonkurrenzen zu entschärfen und gleichzeitig Klimaschutz, Biodiversitätserhaltung und Ernährungssicherung zu gewährleisten? Wie kann ein transformativer Wandel hin zu einer nachhaltigen Landnutzung befördert werden, und welche Akteure müssen aktiviert und beteiligt werden? Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die Forschung und für die Rolle Deutschlands in der globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik?
Landressourcen unter Druck
Der Mensch hat die terrestrische Biosphäre bereits fundamental umgestaltet. Während um 1700 der überwiegende Teil der Landfläche noch weitgehend naturbelassen war, können heute nur noch rund 23 % der weltweiten Landfläche als Wildnis ausgewiesen werden. Wie globale Sachstandsberichte aus den letzten Jahren eindrücklich zeigen, ist der Mensch im Begriff, diese natürliche Lebensgrundlage zunehmend zu zerstören, auch bedingt durch die weltweit steigende Nachfrage nach Land und terrestrischen Ökosystemleistungen. Der Druck auf die Landökosysteme durch Übernutzung und Nutzungskonkurrenzen war noch nie so groß wie heute. Rund ein Viertel der eisfreien Landfläche ist von menschengemachter Degradation betroffen.
Das Trilemma der Landnutzung
Die Bilanz der internationalen Nachhaltigkeitspolitik Anfang der 2020er Jahre fällt ernüchternd aus: Die Klimaschutzziele des Pariser Übereinkommens scheinen nur noch erreichbar, wenn Landflächen verstärkt genutzt werden, um der Atmosphäre Kohlendioxid zu entziehen, was außer mit Chancen auch mit erheblichen Risiken verbunden ist. Das globale Ernährungssystem ist in einer Krise: Für ein Viertel der Menschheit ist die Ernährungssicherung gefährdet, ein weiteres Viertel leidet an gesundheitsschädlichem Überkonsum. Zudem bedrohen die externen Effekte der industriellen Landwirtschaft die natürlichen Lebensgrundlagen. Nicht zuletzt erlebt die Biodiversität derzeit weltweit ein dramatisches Massenaussterben.
Die vielfältigen Ansprüche an Land für Klimaschutz, Ernährungssicherung und Erhaltung biologischer Vielfalt treten heute bereits in Konkurrenz zueinander, während sich Landdegradation auf alle drei Aspekte kurz- oder langfristig negativ auswirkt. Der WBGU bezeichnet dies als „Trilemma der Landnutzung“ (Abbildung), weil es auf den ersten Blick scheint, als könne jeweils eine dieser Herausforderungen nur auf Kosten der anderen beiden bewältigt werden. Hier Lösungen zu finden, ist entscheidend für einen nachhaltigen Umgang mit Land.
Von der Konkurrenz zur Integration
Der WBGU drängt deshalb auf einen systemisch begründeten, nachhaltigen Umgang mit Land, der ein wichtiger Schlüssel zur Großen Transformation zur Nachhaltigkeit ist. Ökosysteme und ihre vielfältigen Leistungen gehören als essenzielle Grundlagen menschlichen Lebens und Wirtschaftens ins Zentrum der Aufmerksamkeit, wobei auch Fernwirkungen etwa von Stoffkreisläufen oder dem Welthandel mit Agrargütern auf Landnutzungsänderungen und -degradation einzubeziehen sind.
Land ist ein globales Gemeingut: Die Menschheit muss Gestaltungsverantwortung für das Land übernehmen, um Klimaschutz, Biodiversitätserhaltung und Ernährungssicherung zu ermöglichen, und diese national umsetzen sowie international durchsetzen. Im Zentrum sollte stehen, die Zerstörung der terrestrischen Ökosysteme zu beenden und massiv in ihre Erhaltung und Renaturierung zu investieren. Ein weltweit nachhaltiger Umgang mit Land ist Voraussetzung für die Einhaltung planetarischer Leitplanken und die Erfüllung der UN-Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Ein integrierter Umgang mit Land, der die multiplen Ziele zusammendenkt und, wo möglich, auf ein und derselbe Fläche realisiert, kann zur Überwindung der Konkurrenzen beitragen.
Fünf Mehrgewinnstrategien für einen nachhaltigen Umgang mit Land
Dafür hat der WBGU beispielhaft fünf Mehrgewinnstrategien entwickelt (Abbildung).
- Die Renaturierung von Landökosystemen sollte massiv ausgebaut werden. Das im Rahmen der Bonn Challenge gesteckte Ziel der Renaturierung von 350 Mio. Hektar degradierter Landfläche bis 2030 sollte nicht nur erreicht, sondern deutlich erweitert werden. Hierbei sollte die Wiederherstellung biodiverser und standortgerechter Wälder, Feuchtgebiete und Graslandschaften im Vordergrund stehen, um gleichzeitig einen Mehrgewinn durch die Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre zu erzielen. CO2-Entfernung aus der Atmosphäre ist allerdings kein Ersatz für die notwendige massive Reduktion von CO2-Emissionen und sollte daher in Klimaschutzstrategien nicht in einem pauschalen Klimaneutralitätsziel gegen CO2-Minderung aufgerechnet werden, sondern unabhängig von dieser verfolgt werden.
- Effektive, vernetzte Schutzgebietssysteme bilden das Rückgrat des Ökosystemschutzes. Ausweitung und Aufwertung der Schutzgebiete sind entscheidende Voraussetzungen dafür, die globale Biodiversitätskrise zu entschärfen. Die terrestrischen Schutzgebietssysteme sollten auf 30% der Erdoberfläche ausgeweitet werden, unter konsequenter Anwendung international vereinbarter Qualitätskriterien. Auch dies trägt im Sinne eines Mehrgewinns zum Klimaschutz bei und erhält langfristige Potenziale für die Ernährungssicherung.
3. Die Förderung einer auf Vielfalt beruhenden Landwirtschaft ist eine weitere Mehrgewinnstrategie, mit der die globale Landwende gelingen kann. Für die EU-Agrarpolitik sollte eine Abkehr von der industriellen Landwirtschaft durch ihre umfassende Ökologisierung vorangetrieben werden. Damit werden gleichzeitig Ernährungssicherung, Klimaschutz und Erhaltung der Biodiversität gefördert. Am Beispiel Subsahara-Afrika wird gezeigt, wie Diversifizierung zu einer nachhaltigen Produktionssteigerung führen kann. Auch der globale Agrarhandel kann so ausgerichtet werden, dass er Mehrgewinne befördert.
4. Ein vielversprechendes Potenzial, um den Druck auf die Landökosysteme zu entschärfen, liegt in der Transformation der Ernährungsstile in den Industrieländern, insbesondere durch die Verringerung des Anteils an Tierprodukten. Eine Orientierung an der „Planetary Health Diet“ sollte als Grundsatz in Ernährungsleitlinien verankert und auch seitens der Bundesregierung empfohlen werden.
5. Bei der Ausgestaltung der Bioökonomie sollten Anwendungen bevorzugt werden, bei denen Biomasse – und damit auch der enthaltene Kohlenstoff – lange gespeichert wird. Das Bauen mit Holz ist ein Beispiel für effektive Möglichkeiten, langfristig Kohlenstoff zu speichern. Das Holz dafür muss aber aus standortgerechter, nachhaltiger Waldwirtschaft stammen. Dazu sollte mit internationalen Partnern eine weltweite „Mission nachhaltiges Bauen“ initiiert und mit der EU-Initiative für ein „neues europäisches Bauhaus" verknüpft werden.
Fünf Governance-Strategien für die globale Landwende
Für die Umsetzung der Mehrgewinnstrategien müssen viele Akteure einbezogen werden. Denn Land hat den Charakter eines globalen Gemeinguts: Es erfordert, dass die Menschen weltweit Verantwortung übernehmen um gesunde und produktive Ökosysteme zu erhalten, die letztlich die Lebensgrundlage für uns alle sind:
- Erstens sollten Pionier*innen des Wandels unterstützt werden: Menschen und Institutionen, die neue Formen nachhaltiger Landnutzung ausprobieren, praktizieren und als Vorreiter verbreiten.
- Zweitens sollten Staaten Rahmenbedingungen schaffen, um die weitere Zerstörung der Ökosysteme durch nicht nachhaltige Landnutzung zu verhindern. Das können preisliche Anreize sein, Nachhaltigkeitsstandards oder Subventionen für nachhaltige Landnutzung. Gleichzeitig sollten der Schutz und die Renaturierung von Ökosystemen gesellschaftlich honoriert werden.
- Drittens sollte die Europäische Union im Rahmen des European Green Deal eine Landwende zur Nachhaltigkeit vorantreiben – umso mehr nach den enttäuschenden Ergebnissen der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP). Die Die GAP sollte zu einer GÖP – einer Gemeinsamen Ökosystempolitik – weiterentwickelt werden.
- Viertens sollte die internationale Zusammenarbeit beim Umgang mit Land verbessert und ein „Global Land Summit“ als gemeinsame Vertragsstaatenkonferenz der UN-Konventionen zu Klima, Biodiversität und Desertifikation einberufen werden.
- Fünftens empfiehlt der WBGU, zur Verstärkung bereits bestehender internationaler Anstrengungen neue Kooperationsgemeinschaften durch gleichgesinnte Staaten bzw. subnationale Regionen zu bilden und dabei neue Formen der multilateralen Zusammenarbeit anzuwenden.
- Dies können z.B. regionale Gemeinschaften sein, die einen integrierten Landschaftsansatz auch über Grenzen hinweg umsetzen. Regionale Gemeinschaften subnationaler Regionen können z.B. regionale Kreislaufwirtschaft und Wertschöpfungsketten etablieren, sie können bestehende Biosphärenreservate zu Vorreitern integrativer Landschaftsräume weiterentwickeln oder regionale Innovationshubs für nachhaltige Anbaumethoden gründen.
- Ein anderes Modell für eine neue Kooperationsgemeinschaft ist eine weltumspannende supranationale Gemeinschaft gleichgesinnter Staaten, die sich für eine globale Landwende zusammenschließen.
- Und schließlich schlagen wir die Gründung von Bewahrungsgemeinschaften für wertvolle Ökosysteme vor. Staaten sowie private Akteure schließen sich dabei mit dem Ziel zusammen, wertvolle Ökosysteme in Drittstaaten zu erhalten, wiederherzustellen und auch gemeinsam zu pachten. Diese Drittstaaten sollten auch Teil der Bewahrungsgemeinschaft sein.
Stimmen zu dieser Publikation
Der jüngste Bericht des WBGU mit dem Titel ‚Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration‘ macht deutlich, dass wir einen grundlegenden Wandel im Umgang mit Land benötigen, um den Klimawandel zu begrenzen, den Verlust der biologischen Vielfalt umzukehren und nachhaltige Ernährungssysteme zu schaffen. Gesundes Land ist endlich, aber Veränderungen im Verhalten von Konsumenten und Unternehmen, kombiniert mit besserer Landnutzungsplanung und Landmanagement, können dazu beitragen, die Nachfrage nach lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen zu befriedigen, ohne die Landressourcen zu gefährden. Dieser Bericht zeigt, wie durch besseres Landmanagement Klimaschutz gefördert, Ökosysteme geschützt und Ernährungssysteme nachhaltig werden können.
Ibrahim Thiaw, Executive Secretary der United Nations Convention to Combat Desertification (UNCCD)
PDF- und eBook-Downloads
Gutachten: Landwende im Anthropozän
- Download: Vollversion (PDF 21 MB)
- Download: Zusammenfassung (PDF navigierbar 6 MB)
- Download: Zusammenfassung (eBook, epub 7 MB)
Flagship Report: Rethinking Land in the Anthropocene
- Download: Full Version (PDF, 26 MB)
- Download: Summary (PDF navigable 6 MB)
- Download: Summary (eBook, epub 7 MB)
Externe Expertisen
Externe Expertisen werden vom WBGU in Aufrag gegeben, die Verantwortung für die Inhalte liegt bei den AutorInnen.
- Download: Jun.-Prof. Dr. Cathrin Zengerling, LL.M.: Internationales Handelsrecht und nachhaltige Landnutzung aus der Perspektive von Klimawandel und Entwicklung (PDF 1,8 MB)
- Download: Jun.-Prof. Dr. Cathrin Zengerling, LL.M.: Strengthening Climate Protection and Development through International Trade Law (PDF 1.8 MB)