Presseerklärung02.04.2011, Berlin

Energiewende in der EU vorantreiben

EU-Energiegipfel am 4. Februar

Anlässlich des am 4. Februar in Brüssel stattfindenden EU-Gipfels über die zukünftige europäische Energiestrategie plädiert der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) für eine beschleunigte Harmonisierung der Energiepolitiken in den EU-Staaten.

Ziel sollte die Dekarbonisierung der europäischen Energiesysteme bis Mitte des Jahrhunderts sein. Dafür empfiehlt der WBGU die Implementierung einer umfassenden Strategie zur massiven Steigerung der Energieeffizienz, eine konsequente Förderung erneuerbarer Energien sowie den koordinierten, raschen Ausbau der Netzinfrastruktur für Strom und Gas und den Aufbau von Speicherkapazitäten. Für diese Elemente sollten jeweils ambitionierte mittelfristige Ziele vereinbart werden. Damit würden Klimaschutz und Energiesicherheit gleichermaßen gefördert. Die heute noch kontrovers diskutierte gemeinsame Energiepolitik könnte in den kommenden Dekaden zu dem zentralen europäischen Leuchtturmprojekt werden.

Förderung erneuerbarer Energien schrittweise harmonisieren

Eine EU-weit einheitliche, ambitionierte Einspeisevergütung würde den Aufbau einer klimaverträglichen europäischen Energieerzeugung beschleunigen und wäre der kostengünstigste Weg für ein dekarbonisiertes Energiesystem mit möglichst hohen Anteilen erneuerbarer Energien. Sie ist allerdings frühestens binnen einer Dekade sinnvoll, weil zuvor die notwendige Netzinfrastruktur geschaffen werden muss. Bisher existieren Einspeisevergütungen bzw. -prämien in 21 Mitgliedstaaten der EU.

Die Mitgliedstaaten der EU sollten jetzt verbindlich festlegen, dass in den nächsten Jahren in allen Staaten der EU Einspeisevergütungen für erneuerbare Energien eingeführt und existierende Fördersysteme schrittweise angeglichen werden. Dies würde bereits jetzt die Gefahr eines zu starken Ausbaus an weniger geeigneten Standorten und damit die Kosten senken sowie den Ausbau an Gunststandorten beschleunigen. Die EU sollte ihre kontinentweiten erneuerbaren Energiepotenziale bündeln: Windenergie von der Nord- und Ostsee, Biomasse aus Osteuropa, Sonnenenergie aus Südeuropa und Systemwissen zum Ausbau transeuropäischer Netze aus Deutschland und anderen technologiestarken Ländern. Mittelfristig sollte ein einheitliches Fördersystem eingeführt werden, das Energie- und Kosteneffizienz miteinander verbindet.

Netzausbau vorantreiben

Der WBGU warnt allerdings vor der Einführung einer sofortigen europaweit einheitlichen Einspeisevergütung. Solange die grenzüberschreitenden Infrastrukturen zum Transport von Strom aus erneuerbaren Quellen nicht vorhanden sind, droht die Gefahr, dass an Gunststandorten Strom produziert wird, der nicht zum Verbraucher transportiert werden kann. In Regionen mit weniger günstigen Bedingungen würde der Ausbau erneuerbarer Energien gebremst und ein Ausweichen auf weniger nachhaltige Energieformen wahrscheinlich. Zwingende Voraussetzung für eine unionsrechtliche Harmonisierung der Einspeisevergütung ist daher der beschleunigte Ausbau der Netze. Die EU sollte durch den koordinierten Netzausbau die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine nahezu vollständige Versorgung Europas mit erneuerbaren Energien bis Mitte des Jahrhunderts möglich wird. Dafür bedarf es der entsprechenden Gesetzgebungskompetenz der EU. Die Europäisierung der Einspeisevergütung sollte im Einklang mit dem Netzausbau schrittweise erfolgen. Insbesondere sollte keine Phase der Investitionsunsicherheit entstehen, die den Ausbau der erneuerbaren Energien insgesamt bremsen würde. Unbedingt erhalten bleiben sollten wichtige Elemente aus dem deutschen EEG, wie der Vorrang der Einspeisung für Strom aus erneuerbaren Energieträgern sowie die Fördergarantie für einzelne Anlagen über einen bestimmten Zeitraum. Die Förderhöhe für Neuanlagen sollte dynamisch angepasst werden, so dass die angestrebten Ausbauraten erreicht werden können, aber keine Überförderung an Gunststandorten erfolgt.

Nationale industriepolitische Interessen überwinden

Angesichts der Herausforderungen des Klimawandels, einer zunehmenden Abhängigkeit vom Import fossiler Energieträger sowie steigenden Energiepreisen ist die Energiewende in der EU dringend erforderlich. Ziele der Europäisierung der Energiepolitik sollten der optimierte Zubau von erneuerbaren Energien, die Ausschöpfung von Innovationspotenzialen und möglichst kostengünstige Lösungen sein. Eine gemeinsame europäische Energiepolitik hätte zudem eine enorme Symbolwirkung und würde die politische Kraft Europas zum gemeinsamen Handeln in zentralen Zukunftsfeldern unterstreichen, die Wettbewerbsfähigkeit der Union stärken und Ausstrahlungskraft auf die Weltwirtschaft entfalten. Es ist daran zu erinnern, dass die Europäische Union einmal als Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl oder Montanunion auf der Grundlage fossiler Energien Gestalt angenommen und politische Identität begründet hat. Heute können energie- und industriepolitische Initiativen im Bereich der erneuerbaren Energien ähnliche Impulse für die Vertiefung der Europäischen Union und ihren Einfluss in Weltwirtschaft und Weltpolitik setzen. Diesen übergeordneten Zielen sind kurzfristige nationale industriepolitische Interessen unterzuordnen. Der WBGU geht davon aus, dass die erneuerbaren Energien wie Solarthermie, Photovoltaik, Wind und Biomasse ab dem Erreichen einer weltweiten Kapazität von etwa 5.000 TWh für jede einzelne dieser Energiequellen auch ohne Förderung wettbewerbsfähig werden, so dass das EU-Fördersystem langfristig auslaufen kann.

Einbezug Nordafrikas prüfen

Der WBGU empfiehlt, mittelfristig auch die internationale Kooperation über die Grenzen der Europäischen Union hinaus auszuweiten. Dazu sollten Optionen zur Einbindung Nordafrikas in ein System europäischer Einspeisetarife geprüft werden. Dadurch könnten zusätzliche Potenziale, insbesondere Solar- und Windenergie, erschlossen und die Energiewende in den Maghreb-Staaten gefördert werden. Voraussetzung für den Einbezug Nordafrikas wäre jedoch ein transkontinentales Hochleistungsnetz, das voraussichtlich nicht vor 2030 realisierbar sein wird. Um auch die 500 Millionen Menschen in Afrika südlich der Sahara zu versorgen, die derzeit keinen Zugang zu Strom haben, ist zusätzlich der Aufbau eines transafrikanischen Netzes notwendig.

Neues Gutachten

Am 22. März wird der WBGU sein neues Gutachten „Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft“ an die deutsche Bundesregierung übergeben. Es zeigt, wie die globale Transformation zur klimaverträglichen Gesellschaft gelingen kann.