Welt im Wandel: Menschheitserbe Meer
Trotz zahlreicher völkerrechtlicher Abkommen und freiwilliger Verpflichtungen werden die Meere immer noch massiv überfischt, verschmutzt und zunehmend als letzte große Ressourcenquelle der Erde ausgebeutet.
Zusammenfassung
Den schlechten Zustand der Meere nimmt der WBGU jetzt zum Anlass, eine langfristige Vision für einen nachhaltigen Umgang mit dem blauen Kontinent zu entwickeln: Alle Meereszonen mit Ausnahme des Küstenmeeres sollten zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt werden.
Um diesem Fernziel für die Meeres-Governance näher zu kommen stellt der WBGU zusätzlich Handlungsempfehlungen vor, die an laufende Politikprozesse anschließen. Dafür betrachtet er beispielhaft die beiden Schwerpunkte Nahrung – nachhaltige Fischerei und Aquakultur – sowie Energie aus dem Meer. Das Gutachten zeigt, dass ein nachhaltiger Umgang mit den Meeren dringend notwendig ist, dass eine Transformation zur klimaverträglichen, nachhaltigen Gesellschaft auch mit den Meeren möglich ist und dass sie weltweit erhebliche Vorteile für eine nachhaltige Energieversorgung sowie für die Ernährungssicherheit bringen kann.
Die Meere im Anthropozän
Der überwiegende Teil der Menschheitsgeschichte war von der Auffassung geprägt, das Meer sei unerschöpflich. Noch im 17. Jahrhundert nahm man an, es sei nicht möglich, die Meere leer zu fischen, und die Schifffahrt habe keinen nennenswerten Einfluss auf die Meere. Tatsächlich begann der Mensch aber schon vor Tausenden von Jahren, zunächst lokal, marines Leben zu dezimieren. Mit der Industrialisierung hat das Ausmaß der vom Menschen verursachten Beeinträchtigung der Meere eine neue Qualität erreicht.
Nutzung der Meere
Die Nutzung der Meere reicht bis in die frühe Menschheitsgeschichte zurück. Analysen zeigen, dass der menschliche Einfluss mittlerweile in allen Teilen der Meere nachweisbar ist. Heute leben 40 % der Menschen nicht weiter als 100 km von der Küste entfernt und mehr als 90 % des Welthandels erfolgt über die Meere.
Bedrohung der Meere
Die direkte und indirekte Nutzung der Meere hat bereits zu tiefgreifenden Änderungen geführt, die das Ökosystem Meer und die vom Menschen genutzten Ökosystemleistungen stark beeinträchtigen. Trends zeigen vielfach eine weiter zunehmende Bedrohung der Meere durch menschliche Aktivitäten.
Mögliche neue Nutzungen
Neben den heutigen Nutzungen zeichnen sich neue zukünftige Technologien und Nutzungen der Meere ab, die einerseits zusätzliche Herausforderungen für den Schutz der Meere darstellen können, andererseits aber auch Chancen für eine nachhaltige Nutzung der Meere bieten.
Meerespolitik
Trotz zahlreicher völkerrechtlicher Abkommen und freiwilliger Verpflichtungen werden die Meere nicht nur höher, wärmer und saurer; sie werden auch massiv überfischt, verschmutzt und zunehmend als letzte große Ressourcenquelle der Erde erschlossen und ausgebeutet. Seit 1994, dem Inkrafttreten des UN-Seerechtsübereinkommens (UNCLOS), wird nur ein Teilgebiet als gemeinsames Erbe der Menschheit anerkannt: das Gebiet des Meeresbodens jenseits nationaler Hoheitsbefugnisse mit seinen mineralischen Ressourcen. Den schlechten Zustand der Meere und die absehbare Zunahme von Meeresübernutzung und-verschmutzung nimmt der WBGU jetzt zum Anlass, die bereits Ende der 1960er Jahre in der UN-Generalversammlung vorgetragene Forderung erneut aufzugreifen: Alle Meereszonen mit Ausnahme des Küstenmeeres sollten zum gemeinsamen Erbe der Menschheit erklärt werden. Zudem sollten Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Meere ein Leitprojekt der „Großen Transformation“ hin zu einer klimaverträglichen, zukunftsfähigen Gesellschaft sein.
Strategie für einen nachhaltigen Umgang mit den Meeren
Wir brauchen eine Reform des UN-Seerechtsübereinkommens, die einen vorsorglichen und nachhaltigen Umgang mit den Meeren sicherstellt. Damit stünde der dauerhafte Schutz der Meere ebenso im Zentrum wie ihre gemeinschaftliche Nutzung in einer Welt mit bald 9 Milliarden Menschen. Von den Nutzungsmöglichkeiten der Weltmeere sollte die gesamte Menschheit profitieren. Voraussetzung hierfür wäre ein Konsens zum Umgang mit den Meeren, der über einen breiten gesellschaftlichen Dialog zu erreichen ist: ein Gesellschaftsvertrag für die Meere. Als Schlussstein eines sorgfältigen und schrittweisen Umbaus der internationalen Meerespolitik empfiehlt der WBGU die Gründung einer Weltmeeresorganisation (World Oceans Organisation) und entsprechender regionaler Institutionen für nachhaltiges Meeres-Management.
Mehr Verantwortung für Nationalstaaten und regionale Organisationen
Mit dem UN-Seerechtsübereinkommen gibt es bereits einen umfassenden internationalen Vertrag, der als eine Art „Verfassung der Meere“ fungiert. Allerdings fehlt es häufig an der konsequenten Umsetzung der vereinbarten Regelungen. Fehlverhalten wird nicht ausreichend verhindert und sanktioniert. Deshalb plädiert der WBGU für die Anwendung des Menschheitserbeprinzips und des Vorsorgeprinzips, so dass alle Staaten erweiterte Schutzpflichten für die Meere haben. In der Ausschließlichen Wirtschaftszone, d. h. der Zone zwischen 12 bis maximal 200 Seemeilen vor der Küste, deren Nutzung den Küstenstaaten vorbehalten ist, sollten die Schutz-, Berichts- und Kontrollpflichten den jeweiligen Staaten obliegen. In der Hohen See sollten die neu zu gründenden Regional Marine Management Organizations (RMMO) diese Pflichten übernehmen. Nur wenn diese ihre Aufgaben nicht erfüllen, sollte die Weltmeeresorganisation eingreifen können.
Nahrung und Energie aus dem Meer
Es gibt gute Beispiele für nachhaltiges Fischereiwesen in verschiedenen Ländern (z.B. Australien, Neuseeland), wo die Trendwende bereits gelungen ist und sich die Bestände langsam erholen. Diese Vorbilder gilt es in die Breite zu tragen. Auch in der EU sind Fortschritte sichtbar. Reformbedarf besteht generell vor allem bei der mangelnden Umsetzung der wissenschaftlichen Empfehlungen für Fangbeschränkungen durch die Politik sowie bei der Kontrolle und Durchsetzung der Regeln. Insbesondere muss die illegale Fischerei wirksamer bekämpft werden, etwa durch die Förderung von Monitoring- und Kontrollkapazitäten in Entwicklungsländern. Die Nutzung erneuerbarer Energien aus dem Meer sollte durch gezielte Innovationspolitik und unter Beachtung von Nachhaltigkeitserfordernissen gefördert werden. Damit würde auch der Ausstieg aus der küstenfernen Öl- und Gasförderung sowie der Verzicht auf den klimagefährdenden Methanhydratabbau ermöglicht.
Fischerei und Aquakultur
Heute befindet sich die globale Fischerei in einem kritischen Zustand. Trotz steigenden Fischereiaufwands und der Befischung bisher ungenutzter Gebiete, wie z. B. der Tiefsee, stagnieren die Erträge seit Jahren. Mittlerweile gelten knapp 90 % der globalen Bestände als überfischt oder voll ausgeschöpft. Die weltweit wachsende Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten kann durch Fischerei allein nicht mehr gedeckt werden, sie wird daher in zunehmendem Maße durch Aquakultur, vor allem in Binnengewässern, aber auch an Küsten und in den Meeren, bedient.
Energie aus dem Meer
Es gibt große Potenziale der Energieerzeugung aus und auf dem Meer.
Bei der Gewinnung von Öl und Gas hält der Trend zur Offshore-Exploration weiter an. Diese Entwicklung scheint sich auch im Bereich der erneuerbaren Energien fortzusetzen; z. B. wächst in europäischen Ländern die Offshore-Nutzung der Windenergie deutlich schneller als an Land.
Auch für Energiespeicherung werden die Meere zunehmend interessant: Tiefsee Pumpspeicherkraftwerke eröffnen neue Möglichkeiten für eine kostengünstige und umweltverträgliche Kurzzeitspeicherung elektrischer Energie. Die Herstellung von Wasserstoff oder Methan aus Windstrom bzw. Biomasse in Verbindung mit Aquakulturen für die Langzeitspeicherung von Energie und die Bereitstellung chemischer Rohstoffe sind weitere Optionen für eine Nutzung der Meere.
Meere sind Menschheitserbe
Stimmen zu dieser Publikation
Das Gutachten `Welt im Wandel – Menschheitserbe Meer´ wirft einen anregenden Blick auf wesentliche Aspekte der Meeres-Governance. Es deckt sich wesentlich mit unserem Denken bei der Weltbank und dem der Partner in der Global Partnership for Oceans. Nationalstaaten, Zivilgesellschaft und Wirtschaft müssen zusammenarbeiten, um eine nachhaltigere und produktivere Nutzung der Meere zu unterstützen. Dieses Gutachten leistet einen wertvollen Beitrag zur globalen Debatte, wie man eine nachhaltige Zukunft durch einen guten Zustand der Meere am besten sicherstellen kann.
Rachel Kyte, Vizepräsidentin, Nachhaltige Entwicklung, Weltbank (2014-2015)
PDF-Downloads
Deutsch
- Download: Vollversion (PDF 8.3 MB)
- Download: Zusammenfassung (PDF 500 kB)
English
- Download: Full Text (PDF 6,4 MB)
- Download: Summary (PDF 400 kB)
Externe Expertisen
Externe Expertisen werden vom WBGU in Aufrag gegeben, die Verantwortung für die Inhalte liegt bei den AutorInnen.
- Download: Prof. Dr. Bela H. Buck und Dr. Gesche Krause (SeaKult – sustainable futures in the marine realm): "Short Expertise on the Potential Combination of Aquaculture with Marine-Based Renewable Energy Systems" (PDF 3,3 MB)
- Download: Dr. Till Markus, LL. M. (Forschungsstelle für Europäisches Umweltrecht (FEU)): " Die EU Fischereihandelspolitik: Analyse und Handlungsbedarf" (PDF 424 KB)
- Download: Prof. Dr. Dr. h.c. Rüdiger Wolfrum und Johannes Fuchs (Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht): "Ocean Governance und das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen" (PDF 332 KB)