Pioniere, bitte übernehmen!
„Das Ende von Mammuttreffen dieser Art scheint näher zu rücken – sie machen viel Lärm um alles. Doch gerade die Vielzahl der aufgerufenen Probleme führt dazu, dass kein einzelnes entschlossen angepackt wird“, so der WBGU-Vorsitzende Hans Joachim Schellnhuber. „Die Zukunft der Menschheit ist zu kostbar, um sie dem fortwährenden Nationalstaaten-Mikado preiszugeben. Nun sind Pioniere aus allen Bereichen der Weltgesellschaft gefragt“. Der stellvertretende WBGU-Vorsitzende Dirk Messner stellt fest: „Das war ein sehr enttäuschender Gipfel, im Vergleich zur Aufbruchstimmung des Erdgipfels von 1992 und angesichts der Dringlichkeit schnellen Handelns zur Vermeidung unumkehrbarer Umweltkrisen. Von der Abschlusserklärung geht kein relevanter Impuls aus“.
Vorreiterallianzen werden immer wichtiger
Nach Ansicht des WBGU werden jetzt Allianzen zwischen Pionierstaaten, Allianzen zwischen Städten, das Engagement von Bürgern, Wirtschaft und Wissenschaft, der Vorreitergeist von Pionieren des Wandels sowie Beispiele für erfolgreiche Projekte der Veränderung in Richtung Nachhaltigkeit immer wichtiger. Die deutsche Energiewende gewinnt vor diesem Hintergrund zusätzlich an Bedeutung als internationales Signal für die Machbarkeit und die Vorteile einer klimaverträglichen Entwicklung.
Grüne Transformation außerhalb der Verhandlungen
Auf der Rio+20 Konferenz gab es zwei Parallelwelten. Während die Staatenlenker kein überzeugendes Signal für den zukunftsorientierten Umbau der Weltwirtschaft zu setzen vermochten, zeigte sich in vielen Veranstaltungen im Beiprogramm der Konferenz, dass die Transformation zur Nachhaltigkeit bereits in vollem Gang ist. Die politischen Verhandlungen hinken aus Sicht des WBGU diesen realen Entwicklungen hinterher. Beispielsweise haben sich in Rio de Janeiro über 50 Entwicklungsländer im Konzert mit vielen Privatunternehmen zu ambitionierten Nachhaltigkeit- sinitiativen im Energiesektor verpflichtet. Diese orientieren sich an den drei Zielen des UN High Level Panel on Energy bis 2030, die es nicht in die Abschlusserklärung schafften: (1) Die Schaf- fung von universellem Zugang zu moderner Energie für alle Menschen, (2) die Verdopplung der Energieeffizienz und (3) des Anteils der erneuerbaren Energien an den Energieportfolios der Länder. Eine Gruppe afrikanischer Regierungen, die Weltbank und große Privatunternehmen einigten sich auf konkrete Initiativen zum Schutz des Naturkapitals afrikanischer Länder. Nobelpreisträger erklärten den Unterstützungswillen der Wissenschaft und stellten Fahrpläne für eine klimaverträgliche Transformation vor. Städte schmiedeten Pionierallianzen und Unternehmen präsentierten neueste Umwelttechnologien.
Globale Nachhaltigkeitspolitik in der Führungskrise
Die internationale Staatengemeinschaft war derweil zu kraftvollem Handeln nicht in der Lage. In der G 8 verhandelten die EU und die USA in unterschiedliche Richtungen. Die Spannungen zwischen Schwellen- und Entwicklungsländern führten zu weiteren Blockaden. Das Ergebnis ist eine internationale Führungs- und Vertrauenskrise, eine „G-Null-Welt“, in der keine Führungsmacht mehr wirkungsvoll die Initiative ergreift und keine handlungsfähigen Koalitionen zustande kommen. Auch der Versuch der EU, eine Nachhaltigkeitskoalition für eine aussagekräftigere Abschlusserklärung zu formen, misslang. Die Verhandlungen brachten nur einen Minimalkonsens hervor, um einen Eklat wie bei der Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 zu vermeiden. Die globale Transformation zu einer klimaverträglichen, nachhaltigen Gesellschaft findet bereits statt, aber die internationale Politik zeigt derzeit keinen nennenswerten Mitgestaltungswillen. Auch Leiter wichtiger internationaler Organisationen wie Pascal Lamy (WTO), José Angel Gurria (OECD), Achim Steiner (UNEP) oder Kandeh K. Yumkella (UNIDO), zeigten sich von der kraft- und mutlosen Abschlusserklärung frustriert. Sie drückten ihre Sorge um den Zustand des multilateralen Systems aus. Sie wurden dabei von den Protagonisten des Erdgipfels von 1992, wie Gro Harlem Brundtland und Maurice Strong, unterstützt.
Transformation ohne globale Spielregeln
„Die internationalen Staatenlenker tragen nach wie vor die historische Verantwortung für die Schaffung gemeinsamer Spielregeln für die Transformationsdynamik. Letztere muß stark beschleunigt werden – denn die Natur lässt nicht mit sich verhandeln, und Kipp-Punkte im Umweltsystem könnten schon bald erreicht werden“, so Hans Joachim Schellnhuber. „Durch Setzung weltweit respektierter Leitplanken müsste die Politik den Rahmen schaffen, in dem sich die Pioniere des Wandels kreativ entfalten.“
Gründung einer UN-Sonderorganisation für Umwelt gescheitert
Die Aufwertung des UN-Umweltprogramms (UNEP) zu einer Sonderorganisation, etwa nach dem Vorbild der FAO, ist nach Ansicht des WBGU eine der zentralen, notwendigen Reformen im UN- System. Ein solcher Durchbruch gelang in Rio de Janeiro nicht. Im Abschlussdokument wird die UN-Vollversammlung zwar aufgefordert, eine Reihe von Verbesserungen zu beschließen. So soll das UNEP u.a. universelle Mitgliedschaft sowie erhöhte und stabile finanzielle Mittel erhalten und UN-weite Umweltstrategien entwickeln dürfen. Die vom WBGU als notwendig erachtete Schlag- kraft erhält UNEP damit jedoch bei weitem nicht.
Reform der UN Kommission für nachhaltige Entwicklung unzureichend
Die im Vorfeld zur Rio+20 Konferenz breit diskutierte und auch vom WBGU empfohlene Ein- richtung eines Rates für nachhaltige Entwicklung wird es nicht geben. Stattdessen beschloss die Staatengemeinschaft die Einrichtung eines „hochrangigen politischen Forums“ das die Kommission für nachhaltige Entwicklung ersetzen soll. Die genaue Funktionsweise des Forums wurde nicht festgelegt. Bis zur nächsten UN Generalversammlung soll über die Ausgestaltung des Mandats des neuen Forums verhandelt werden. Angesichts der fehlenden Dynamik der internationalen Verhandlungen ist hier im Moment wenig zu erwarten. Auch hier sind Impulse nur von Pionierlän- dern, Zivilgesellschaft und Wissenschaft zu erwarten. Die Staaten konnten sich auch nicht auf die Einsetzung einer Ombudsperson für künftige Generation einigen.
Weiche Formulierungen zur „grünen Wirtschaft“
Das Konzept der „grünen Wirtschaft“ (Green Economy), das Umweltschutz und Armutsbekämp- fung zusammenführen soll, ist in der Abschlusserklärung verankert, bleibt aber vage. Die vom WBGU empfohlene Vereinbarung von Fahrplänen für eine Transformation zur Nachhaltigkeit mit Berichtspflichten der Staaten kam nicht zustande. Immerhin wird zu Länderpartnerschaften aufgerufen. Aus Sicht des WBGU bieten solche Pionierallianzen attraktive Möglichkeiten, um die Vorteile einer „grünen Wirtschaftspolitik“ aufzuzeigen.
Neue Ziele für nachhaltige Entwicklung
In Rio de Janeiro wurde ein Prozess zur Erarbeitung eines umfassenden Katalogs von Zielen für nachhaltige Entwicklung beschlossen, der die im Jahr 2000 verabschiedeten Millennium- Entwicklungsziele ergänzen bzw. ersetzen soll. Dieser Zielkatalog für nachhaltige Entwicklung soll alle Staaten umfassen. Der WBGU betrachtet die Auswahl geeigneter globaler Entwicklungsziele als wichtige Meilensteine der Transformation. Diese sollten möglichst bald entwickelt werden.