Presseerklärung31.05.2006, Berlin

Meere und Küsten durch Kohlendioxid doppelt bedroht

Sondergutachten 2006

Der WBGU übergibt heute das Sondergutachten "Die Zukunft der Meere: zu warm, zu hoch, zu sauer" an die Parlamentarischen Staatssekretäre Michael Müller (BMU) und Thomas Rachel (BMBF).

Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass der ungebremste, vom Menschen verursachte Ausstoß von Kohlendioxid schwerwiegende Folgen für die Weltmeere haben wird. Die fortschreitende Erwärmung zum Einen und die Versauerung der Meere zum Anderen bedrohen die Meeresumwelt sowie die durch Überfischung ohnehin schon geschwächten Fischbestände. Durch den Anstieg des Meeresspiegels sind die Küsten zunehmend Überflutungs- und Wirbelsturmrisiken ausgesetzt. Um die Nachteile für Menschen und Ökosysteme in Grenzen zu halten, müssen neue Wege im Küstenschutz beschritten, Meeresschutzgebiete eingerichtet sowie Regelungen für den Umgang mit Flüchtlingen aus gefährdeten Küstengebieten beschlossen werden. Diese Maßnahmen können jedoch nur erfolgreich sein, wenn die globale Erwärmung und die Versauerung der Meere deutlich begrenzt werden. Ein ambitionierter Klimaschutz ist daher eine entscheidende Voraussetzung für erfolgreichen Meeres- und Küstenschutz.

In dem Gutachten zeigt der Beirat, dass der Klimawandel schwerwiegende Folgen für den Zustand der Meere hat. Die Menschheit ist dabei, Veränderungsprozesse im Meer anzustoßen, die in den letzten Jahrmillionen ohne Beispiel sind. Besonders kritisch sind die fortschreitende Erwärmung und Versauerung der Ozeane sowie der Anstieg des Meeresspiegels. Diese Veränderungen sind eine direkte Folge der Anreicherung von Treibhausgasen und insbesondere Kohlendioxid in der Atmosphäre. Der Schutz der Meere wird daher entscheidend davon abhängen, ob der Anstieg von Kohlendioxid rechtzeitig gestoppt werden kann. Der WBGU betont, dass rasches Handeln notwendig ist: wegen der erheblichen Verzögerungseffekte bestimmt das heutige Verhalten der Menschheit den Zustand der Weltmeere für viele Jahrhunderte.

Die Meere werden saurer

Das durch menschliche Aktivitäten freigesetzte Kohlendioxid verändert nicht nur die Strahlungsbilanz der Atmosphäre und treibt damit den Klimawandel an. Es löst sich darüber hinaus direkt im Meerwasser. Dadurch kommt es zu einer schon heute feststellbaren raschen Versauerung der Meere. Ohne Gegenmaßnahmen könnte sie schon in diesem Jahrhundert ein Ausmaß erreichen, wie es wahrscheinlich seit vielen Jahrmillionen nicht vorgekommen ist. Dieser Vorgang wird zudem über einen sehr langen Zeitraum unumkehrbar sein. Durch die Versauerung sind besonders kalkbildende Meeresorganismen (z. B. Korallen) bedroht, die eine wichtige Funktion für die Nahrungsnetze im Meer und die globalen Stoffkreisläufe haben.

Die Meere werden wärmer, das Meereis schmilzt

Durch die Erwärmung des Meerwassers werden zahlreiche Meeresökosysteme und Fischbestände bedroht. Diese Entwicklung birgt unkalkulierbare Risiken, beispielsweise für die Ernährung der Menschheit: Etwa 15% des global konsumierten tierischen Eiweißes stammen vom Fisch. Eine der sichtbarsten Folgen des Temperaturanstiegs ist der Rückgang des arktischen Meereises. Die Ausdehnung der Eisdecke im Sommer hat in den vergangenen 30 Jahren um etwa 20% abgenommen. Ohne Klimaschutzmaßnahmen dürfte der arktische Ozean gegen Ende des 21. Jahrhunderts im Sommer praktisch eisfrei sein, mit weit reichenden Folgen für das globale Klimageschehen.

Die Zerstörungskraft von Wirbelstürmen nimmt zu

Beobachtungen und Modellrechnungen deuten darauf hin, dass die Klimaerwärmung zwar nicht die Anzahl tropischer Wirbelstürme erhöht, wohl aber deren Zerstörungskraft. Schon für die bisherige Erwärmung der tropischen Meerestemperatur um nur etwa ein halbes Grad Celsius wurde eine Erhöhung der Energie der Hurrikane um 70% beobachtet.

Der Anstieg des Meeresspiegels beschleunigt sich

Durch das Abschmelzen von Inlandgletschern und kontinentalen Eisschilden sowie durch die Ausdehnung des Meerwassers als direkte Folge der Erwärmung steigt der Meeresspiegel an. Im 20. Jahrhundert erhöhte sich der Meeresspiegel global um 1,5–2 Zentimeter pro Jahrzehnt. Satellitenmessungen belegen für das vergangene Jahrzehnt einen Anstieg von sogar 3 Zentimetern. Steigt der Meeresspiegel um mehr als 1 Meter gegenüber dem vorindustriellen Wert, sieht der WBGU die Anpassungsfähigkeit von Küstengesellschaften überfordert.

Der WBGU empfiehlt: Versauerung und Temperaturanstieg begrenzen

Maßnahmen zur Anpassung können nur erfolgreich sein, wenn der Meeresspiegelanstieg sowie die Erwärmung und Versauerung der Meere auf ein tolerables Maß begrenzt werden. Dies kann nur durch ehrgeizigen Klimaschutz geschehen. Die vom WBGU bereits früher empfohlene Begrenzung des Anstiegs der globalen Mitteltemperatur auf höchstens 2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Wert ist auch zum Schutz der Meere erforderlich. Um die Versauerung zu begrenzen, ist sicherzustellen, dass nicht nur die Treibhausgase insgesamt reduziert werden, sondern dass insbesondere der Kohlendioxidausstoß ausreichend gemindert wird. Der WBGU hält es deshalb für notwendig, die globalen anthropogenen Treibhausgasemissionen bis 2050 gegenüber 1990 in etwa zu halbieren.

Der WBGU empfiehlt: Widerstandsfähigkeit von Meeresökosystemen stärken

Um die Widerstandsfähigkeit der Meeresökosysteme gegenüber höheren Meerestemperaturen und Versauerung zu stärken, müssen die Meeresressourcen nachhaltig bewirtschaftet werden. Insbesondere ist die Überfischung zu stoppen. Außerdem empfiehlt der WBGU, mindestens 20–30% der globalen Meeresfläche als Schutzgebiet auszuweisen. International bereits vereinbarte Ziele, wie beispielsweise auf dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung in Johannesburg, müssen umgesetzt werden und die Regelungslücke für die Hohe See ist durch ein entsprechendes Abkommen zu schließen.

Der WBGU empfiehlt: Neue Strategien für den Küstenschutz entwickeln

Etwa jeder fünfte Mensch lebt weniger als 30 Kilometer vom Meer entfernt. Viele dieser Menschen sind unmittelbar durch Meeresspiegelanstieg und Wirbelstürme bedroht. Küstenschutz wird damit zu einer großen gesellschaftlichen Herausforderung, nicht zuletzt auch in finanzieller Hinsicht. Nationale und internationale Strategien für Schutz und Anpassung müssen weiterentwickelt und harmonisiert werden. Dies schließt auch Pläne für einen qualifizierten Rückzug aus gefährdeten Gebieten ein. In den Entwicklungsländern ist die Finanzierung mit Hilfe bestehender und innovativer Finanzierungsinstrumente, wie beispielsweise Mikroversicherungen, sicherzustellen.

Der WBGU empfiehlt: Meeresflüchtlingen Rechtssicherheit geben

Im Völkerrecht gibt es derzeit weder eine Verpflichtung zur Aufnahme von Menschen, die aufgrund des Klimawandels Küstengebiete oder Inseln verlassen müssen, noch ist die Kostenfrage geregelt. Langfristig wäre eine Quotierung vorstellbar, bei der Staaten entsprechend ihrer Treibhausgasemissionen Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen müssten. Notwendig sind daher entsprechende internationale Abkommen einschließlich der Einrichtung von Kompensationsfonds für internationale Ausgleichszahlungen.

Der WBGU empfiehlt: Speicherung von Kohlendioxid nur als Übergangslösung einsetzen

Zur Emissionsminderung kann Kohlendioxid bei der Energieerzeugung abgeschieden und in geologischen Formationen an Land oder unter dem Meeresboden eingelagert werden. Diskutiert wird auch eine Einbringung in die Tiefsee. Da Letzteres jedoch keine dauerhafte Speicherung ist und das Risiko ökologischer Schäden in der Tiefsee birgt, empfiehlt der WBGU, die Einbringung von Kohlendioxid in das Meerwasser generell zu untersagen. Die Einlagerung von Kohlendioxid in geologische Formationen unter dem Meeresboden kann hingegen eine Übergangslösung für den Klimaschutz sein, mit der nachhaltigere Maßnahmen – wie die Erhöhung der Energieeffizienz und der Ausbau erneuerbarer Energien – ergänzt werden können. Eine Genehmigung sollte jedoch nur dann erteilt werden, wenn die Speicherung umweltverträglich und für mindestens 10.000 Jahre gesichert ist.