Presseerklärung06.06.2007, Berlin

Klimawandel bedroht weltweit Stabilität und Sicherheit

Hauptgutachten "Sicherheitsrisiko Klimawandel"

Der WBGU übergibt heute zu Beginn des G8-Gipfels in Heiligendamm das Gutachten "Sicherheitsrisiko Klimawandel" an Bundesumweltminister Sigmar Gabriel, Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul, den Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Michael Thielen sowie den Staatsminister im Auswärtigen Amt, Gernot Erler.

Die Regierungsberater kommen in dem Gutachten zu dem Schluss, dass der Klimawandel ohne entschiedenes Gegensteuern die Anpassungsfähigkeit vieler Gesellschaften überfordern wird. Dadurch kann es in einigen Weltregionen zu innerstaatlichen Zerfalls- und Destabilisierungsprozessen mit diffusen Konfliktstrukturen, zwischenstaatlichen Konflikten und einer Überforderung des internationalen Systems kommen. Die klassische Sicherheitspolitik kann diese neuen Bedrohungen der internationalen Stabilität nicht bewältigen. Die Klimapolitik und Anpassungsstrategien an den Klimawandel werden zu wesentlichen Elementen präventiver Sicherheitspolitik.

Diese Herausforderung könnte die Staatengemeinschaft durchaus auch zusammenführen, wenn sie sie als Menschheitsbedrohung versteht und in den kommenden Jahren die Weichen für die Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels stellt. Gelingt dies aber nicht, wird der Klimawandel zunehmend Spaltungs- und Konfliktlinien in der internationalen Politik hervorrufen. Diesem Problem muss sich auch der heute beginnende G8-Gipfel stellen.

1,1 Milliarden Menschen haben schon heute keinen sicheren Zugang zu ausreichend viel und gutem Trinkwasser. Diese Situation kann sich in einigen Regionen der Welt weiter verschärfen, weil es durch den Klimawandel zu größeren Schwankungen in den Niederschlägen und der Wasserverfügbarkeit kommen dürfte. Zudem kann sich regional die Ernährungssicherheit verschlechtern, weil durch den Klimawandel Ernteverluste insbesondere in den Entwicklungsländern drohen. Bereits heute sind weltweit über 850 Mio. Menschen unterernährt. Durch den Klimawandel ist auch mit einem weiteren Meeresspiegelanstieg und einer Intensivierung von Stürmen und Starkniederschlägen zu rechnen. Daraus ergeben sich für viele Städte und Industrieregionen in Küstennähe deutlich erhöhte Risiken durch Naturkatastrophen. Diese Wirkungen können insbesondere schwache Staaten überfordern und im Extremfall auch deren Zerfall begünstigen. Sie können zu Verteilungskonflikten um Wasser, um Land und zu Wanderungsbewegungen führen.

Der WBGU hat ausgewählte regionale Brennpunkte näher untersucht: Beispielsweise sind das südliche Afrika und das Gangesdelta besonders gefährdet. In diesen Regionen könnte der Klimawandel die wirtschaftlichen Potenziale weiter schwächen, die Bedingungen für menschliche Sicherheit verschlechtern und die Leistungsfähigkeit der Staaten überfordern. Afrika ist im weltweiten Vergleich schon heute durch Destabilisierung und Gewalt am meisten gefährdet. Dort sind Millionen von Menschen auf der Flucht vor Bürgerkrieg und Verelendung. Der Klimawandel würde schwelende Konflikte weiter anfachen. Ein weiteres Beispiel ist Amazonien, wo ein Kollaps des Regenwalds unabsehbare wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen hätte. Neben Entwicklungsländern sind aber auch wirtschaftlich aufstrebende Regionen wie etwa die Ostküste Chinas gefährdet: Hier sind dicht besiedelte Großstädte und industrielle Ballungszentren wachsenden Sturm- und Flutrisiken ausgesetzt – mit erheblichen ökonomischen und sozialen Folgen.

Sechs zentrale Gefährdungen internationaler Stabilität

Die geschilderten Entwicklungen können über die direkt betroffenen Länder und Regionen hinaus globale Wirkungen entfalten – ein ungebremster Klimawandel würde zu einer der zentralen politischen Konflikte des 21. Jahrhunderts. Der WBGU sieht dabei folgende zentrale Gefährdungen für die internationale Stabilität und Sicherheit:

  • Eine steigende Zahl schwacher und fragiler Staaten: die Wirkungen eines ungebremsten Klimawandels schränken die Fähigkeit dieser Staaten zur Problemlösung weiter ein. Durch die Ausweitung über die betroffene Region hinaus, etwa durch Umweltmigration, könnte dies zur Entstehung "scheiternder Subregionen" führen.
  • Wachsende Verteilungskonflikte zwischen Verursachern und Betroffenen des Klimawandels: Die besonders betroffenen Länder werden auf das Verursacherprinzip verweisen, so dass sich die internationale Kontroverse um ein globales Kompensationsregime verschärfen dürfte. Neben den heutigen Industrieländern werden auch große aufstrebende Ökonomien wie China und Indien künftig gegenüber den Entwicklungsländern in Erklärungsnot geraten. Eine zentrale Konfliktlinie der Weltpolitik des 21. Jahrhunderts wird daher auch zwischen Schwellenländern und ärmeren Entwicklungsländern entstehen.
  • Ein wachsender Legitimationsverlust der Industrieländer: Den Industrieländern und künftig auch Schwellenländern könnte der Vorwurf gemacht werden, durch zögerliches Handeln eine Gefährdung der existenziellen Lebensgrundlagen von Millionen von Menschen zuzulassen.
  • Eine verstärkte Migration: Durch den Klimawandel wird die Zahl der Migrationsbrennpunkte auf der Erde erheblich zunehmen.
  • Risiken für die Weltwirtschaft: Je nach Art und Intensität der Klimawirkungen ist eine spürbare Beeinträchtigung der Weltwirtschaft plausibel. Bei ungebremstem Klimawandel ist mit erheblichen Wachstumseinbußen zu rechnen.

In den nächsten 10–15 Jahren entschieden handeln

Die Klimapolitik muss nach Ansicht des WBGU bereits in den nächsten 10–15 Jahren entschieden handeln, um mittelfristig sozioökonomische Verwerfungen und negative Folgen für die internationale Sicherheit zu vermeiden. Dazu empfiehlt der WBGU der Bundesregierung die Umsetzung folgender Maßnahmen:

Internationale Klimapolitik ehrgeizig weiterentwickeln
Um eine gefährliche Störung des Klimasystems durch den Menschen zu verhindern, ist eine Halbierung der weltweiten Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2050 (bezogen auf 1990) notwendig. Die Industrieländer sollten sich für die Verpflichtungsperiode nach 2012 zu einer Minderung ihrer Treibhausgasemissionen um 30% bis 2020 verpflichten. Deutschland und die EU sollten mit den Schwellenländern strategische „Dekarbonisierungspartnerschaften“ eingehen. Klimaschutz sollte als Querschnittsthema in der Entwicklungszusammenarbeit verankert werden.

KSZE ähnlichen Prozess anstoßen
Um die Herausforderungen des Klimawandels auch für die Sicherheit zu meistern, ist eine handlungsfähige multilaterale Ordnung notwendig. Dazu müssen die aufstrebenden neuen Führungsmächte China und Indien für ein gemeinsames Handeln gewonnen werden. Deutschland sollte innerhalb der EU die erforderliche Überzeugungsarbeit leisten und sich international für vertrauensbildende Maßnahmen einsetzen. Denkbar wäre es, einen am Vorbild der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) orientierten Prozess anzustoßen.

Vereinte Nationen reformieren
Nachdem sich der UN-Sicherheitsrat im April 2007 erstmals ausführlich mit den sicherheitspolitischen Konsequenzen des Klimawandels befasst hat, sollte eine entsprechende Mandatsanpassung des Sicherheitsrats erfolgen. Zusätzlich sollte das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) gestärkt und zu einer UN-Sonderorganisation aufgewertet werden. Schließlich sollte sich die Bundesregierung für die Stärkung der unterfinanzierten Finanzierungsmechanismen zur Krisenprävention und Friedenskonsolidierung auf UN-Ebene einsetzen.

Fragile und schwache Staaten stabilisieren
Der Klimawandel wird zur weiteren Destabilisierung fragiler Staaten beitragen. Dies sollte stärker als bisher im „Aktionsplan Krisenprävention“ berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang sollte auch die EU-Sicherheitsstrategie in Richtung auf Krisenprävention erweitert werden, um militärisches Eingreifen so weit wie möglich zu vermeiden. Der WBGU regt zudem an, die Militärhaushalte deutlich zugunsten präventiver Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit umzuschichten.

Entwicklungspolitik auch als präventive Sicherheitspolitik verstehen
Entwicklungsländer sind vom Klimawandel besonders betroffen, aber es fehlt ihnen an Kapazitäten, wirksame Anpassungsmaßnahmen umzusetzen. Gehandelt werden muss bereits heute. In vielen entwicklungspolitischen Institutionen sind diese Einsichten noch nicht vollständig angekommen. Der WBGU sieht insbesondere in den Bereichen Süßwasser, Ernährungssicherheit, Katastrophenvorsorge und Migrationspolitik Handlungsbedarf. Um diese Herausforderungen bewältigen zu können, sollte der von der EU im Jahr 2005 beschlossene Fahrplan zur Aufstockung der Entwicklungsleistungen unbedingt eingehalten werden: Demnach sollen die Entwicklungsleistungen bis 2010 auf 0,56% und bis 2015 auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens steigen.

Globales Informations- und Frühwarnsystem ausbauen
Zeitnahe Warnungen vor Extremereignissen werden im Zeitalter des Klimawandels immer wichtiger. Die Bundesregierung sollte sich daher weiterhin am Aufbau eines globalen Frühwarnsystems beteiligen. Darüber hinaus sollte die Bereitstellung aufbereiteter Daten zu prognostizierten regionalen Klimaveränderungen vor allem für Entwicklungsländer sichergestellt werden.

Konvention für Umweltmigranten entwickeln
Umweltmigranten entsprechen bisher nicht den gängigen Kategorien des internationalen Flüchtlings- und Migrationsrechts, obwohl eine starke Zunahme umweltbedingter Wanderungsbewegungen zu erwarten ist. Nach geltendem Recht gibt es heute weder spezifische Pflichten der Staaten in Bezug auf die Behandlung von Umweltmigranten, noch sonstige rechtliche Schutzmechanismen. Dazu sollte eine übergreifende multilaterale Konvention abgeschlossen werden.

vlnr: Prof. Dr. R. Schubert (Vorsitzende WBGU), Prof. Dr. J. Schmid (Mitglied WBGU), Prof. Dr. H. J. Schellnhuber (stv. Vorsitzender WBGU), Prof. Dr. M. Schulz-Baldes (Generalsekretär WBGU), Prof. Dr. S. Rahmstorf (Mitglied WBGU), Staatssekretär M. Müller (BMU), Dr. R. Grießhammer (Mitglied WBGU), Prof. Dr. D. Messner (Mitglied WBGU), Bundesministerin H. Wieczorek-Zeul (BMZ), Staatsminister G. Erler (AA), Staatssekretär M. Thielen (BMBF).

06. Juni 2007, Übergabe des Hauptgutachtens "Sicherheitsrisiko Klimawandel" in der
Bundespressekonferenz